Prälat Imkamp geht nach Regensburg

In 30 Jahren Vesperbild: „Maria war ständig im Einsatz“

MARIA VESPERBILD – Pfingsten 1988 wurde er als Wallfahrtsdirektor eingeführt. Heute kennt ganz Deutschland Wilhelm Imkamp. Der Apostolische Protonotar hat sich als Theologe der Päpstlichen Akademie ebenso einen Namen gemacht wie als volksnaher Prediger und wortgewandter Teilnehmer an TV-Talks. Nun geht er mit 66 Jahren in Ruhestand. Wohin, und was er dort vor hat, das erzählt der langjährige und künftige Autor unserer Zeitung im Interview.

Wie fühlen Sie sich, Herr Prälat? Überwiegt die Freude auf mehr Zeit und Freiheit, oder nagt die wehmütige Erinnerung an große Glaubensfeste, gut besuchte Gottesdienste und glanzvolle Ehrengäste an Ihnen?
Wehmut ist natürlich da. Bei jedem Ende eines Lebensabschnitts kommt Wehmut auf. Das ist ganz klar und natürlich. Aber die Wehmut wird in Zaum gehalten von der Dankbarkeit. In den vergangenen 30 Jahren ist mir als Priester so viel geschenkt worden, dass man eigentlich vor Dankbarkeit fröhlich sein müsste und auf keinen Fall wehmütig. Ob es in der Zukunft mehr Freiheit und mehr Ruhe gibt, das wird sich zeigen. Da bin ich mir noch nicht so sicher.

Vergessen geht schnell. Kaum jemand weiß heute noch, wie Maria Vesperbild vor 30 Jahren aussah. Was waren für Sie die wichtigsten Meilensteine Ihrer Wirkungszeit?
Meilensteine waren sicher die Herstellung einer halbwegs modernen Infrastruktur, wie sie zu einer Wallfahrt gehört: Pilgerhaus, Toi­lettenanlage, neuer Parkplatz, das Priesterhaus und die Platzgestaltung. „Gratia supponit naturam et eam perficit“ (Gnade setzt die Natur voraus und vollendet sie – Thomas von Aquin, Anm. der Red.) – das sieht man halt auch an einer Wallfahrt, die ihre Strukturen und sachlichen Gegebenheiten braucht.

Was waren die Meilensteine in geistlicher Hinsicht?
Es gab sicher insofern Meilensteine, als es gelungen ist, den Schwerpunkt im normalen Jahresablauf auf den Sonntagsgottesdienst zu legen. Hier gab es keine Sonderfrömmigkeiten, sondern die ganz normale katholische Frömmigkeit in ihrer etwas traditionelleren Spielart.

Was wünschen Sie Ihrem Nachfolger Erwin Reichart vor allem?
Geduld und einen langen Atem – jedenfalls mehr Geduld, als ich es hatte.

Hatten Sie wenig Geduld?
Ich fürchte: ja. Ich fürchte, ich war ungeduldig und ich bin auch ziemlich vielen auf den Schlips getreten. Obwohl ich da immer sage, den Leuten, denen ich auf den Schlips getreten bin – die sollen mal gucken, wo der Schlips lag. Und wenn es Priester waren, dann sollen sie sich fragen, warum sie überhaupt einen Schlips anhatten. Man braucht Geduld, Geduld mit den Menschen, Geduld mit den Mitbrüdern und Geduld mit sich selbst und darin muss man hineinwachsen. Insofern wünsche ich meinem Nachfolger Geduld.

Gerne luden Sie an den Hochfesten Ehrengäste ein, die Christus und seine Mutter in den Mittelpunkt stellen sollten. Von Jahr zu Jahr waren die Prediger illustrer. An welche erinnern Sie sich besonders gern?
An Kardinal Meisner und an Bischof Punt von Haarlem-Amsterdam, der in Augsburg studiert hat. Eigentlich war die durchgängige Qualität der Predigten immer erheblich, gerade in Bezug auf die Wirkung: Häufig habe ich Wochen später Leute getroffen, die noch genau wussten, was am 15. August abends gepredigt worden war. Das hat mich schon sehr beeindruckt.

Hätten Sie einen Zelebranten und Prediger gerne gehabt, der nicht kommen konnte oder wollte?
Nein, wer nicht kommen wollte, den hätte ich auch von vornherein nicht gewollt. Zeitliche Verschiebungen hat es vielleicht gegeben, aber ich kann mich nicht genau erinnern. Ja, der Bischof von Elbląg, der dieses Jahr da war, der hatte mal in einem anderen Jahr nicht gekonnt.

War irgendwann auch mal Joseph  Ratzinger eingeladen, der spätere Papst Benedikt XVI., als er noch Kardinal war?
Nicht eingeladen, aber er war zu einem Besuch hier an einem Ostermontag nachmittags. Damals hatte ich noch zwei Katzen, und die waren ganz begeistert vom Kardinal Ratzinger. Da kann ich mich noch genau erinnern. Es ging damals um eine etwas schwierigere Angelegenheit, die befriedigend oder sogar gut gelöst werden konnte.

Als Konsultor der Selig- und Heiligsprechungskongregation sowie der Sakramentenkongregation und darüber hinaus als Mitglied der Päpstlichen Akademie verfügen Sie über ein gutes Maß an Beziehungen. Bevorstehende Bischofsernennungen sollen teilweise unter den Dächern von Maria Vesperbild bekannt gewesen sein, lange bevor andere davon wussten. Trotzdem haben Sie sich stets in die zweite Reihe gestellt. Hätten Sie sich auch vorstellen können, Bischof zu werden?
Das mit der zweiten Reihe ist richtig. Es könnte auch die 25. Reihe gewesen sein. Und ich kann mir nicht vorstellen, dass sich einer vorstellen kann, Bischof zu sein. Wenn er sich das nämlich richtig vorstellt, vergeht ihm jede Vorstellung. Wir müssen für unsere Bischöfe beten und wir müssen versuchen, ihnen ihre Aufgabe zu erleichtern. Ein Bischofsamt schränkt die Möglichkeit der freien Auswahl von Aktivitäten sehr, sehr ein. Ein erheblicher Termindruck lastet auf dem Bischof – ein Termindruck, der nicht nur Seelsorgetermine beinhaltet, sondern auch viele Konferenzen und Gremien. Da sollte einer schon geübt sein im Umgang damit, so dass er nicht plötzlich als Bischof aufwacht und merkt: Das ist es nicht!

Ihr Rücktritt als Wallfahrtsdirektor kam für viele überraschend. Sie sind – für einen Priester kein Alter – erst 66. Wie lauten nun Ihre Zukunftspläne? Wo werden Sie wohnen? Und wie Ihren rastlosen Geist beschäftigen?
Zuerst einmal ist es natürlich höchst bedauerlich, dass wir in der Gesellschaft die Diskussion um die Rente mit 63 beziehungsweise mit 67 Jahren haben. In der Kirche ist dagegen eigentlich die Regel, dass der niedere Klerus mit 70 aufhört einschließlich der Domkapitulare, der Bischof mit 75, Kardinäle häufig mit 80. Ich habe schon, als ich hier angetreten bin, zu meiner Haushälterin gesagt: „Erinnern Sie mich ja daran, dass ich mit 65 gehe.“
Dem steht eine doppelte Erfahrung zu Grunde: Erstens soll man gehen, solange man noch gehen kann – und man sollte sich vor allen Dingen davor hüten, sich für unersetzlich zu halten. Auch deswegen ist ein früher Gang relativ wichtig. Es stimmt zwar, dass die Erfahrung, die man im Laufe der Zeit gesammelt hat, tatsächlich nicht so schnell ersetzbar ist. Aber hier gilt: Erfahrung ist nicht alles, der frische Elan eines Jüngeren zählt auch.
Wohnen werde ich künftig in Regensburg. Ich werde die Leitung der fürstlichen Hofbibliothek übernehmen. Ich gebe ja schon seit einigen Jahren die wissenschaftlichen Reihen „Thurn-und-Taxis Studien Neue Folge“ mit den Bibliothekaren heraus. Und ich habe vor – das könnten Wunschträume sein, aber ich hoffe, dass es sich realisieren lässt – häufiger mal länger am Stück in Rom zu sein und auch noch wissenschaftlich arbeiten zu können. Es liegt doch noch vieles da, was sinnvoll wäre zu bearbeiten.

Zum Beispiel?
Die Theologie-Geschichte der Privatoffenbarungen ist noch nicht geschrieben. Dann ist Martin Anton Delrio, ein Jesuit des 16. beziehungsweise 17. Jahrhunderts, meines Erachtens zu wenig erforscht, obwohl er eine erhebliche Bedeutung hatte. Ebenso hat die theologische Bedeutung und Funktion von Kirchenlehrern bisher zu wenig Beachtung gefunden.
Dann gibt es noch einige Themen aus der Barockscholastik, einige Themen aus der Kurien-Geschichte, zum Beispiel die Entwicklung der Zeremonial-Kongregation: Das mag alles etwas abseitig klingen, das sind aber Bereiche, die bei näherer Beschäftigung sehr wohl ins Zentrum führen. Sicher werde ich mich mit Innozenz III. beschäftigen, ebenso mit Benedikt XIV., meinen beiden Lieblingspäpsten, wo noch jede Menge zu holen ist. Das ist so die Perspektive, von der ich hoffe, dass es nicht nur Science-Fiction ist.

In welchem Teil des Schlosses der Thurn und Taxis wohnen Sie?
In dem Teil des Schlosses, wo sich das alte Kloster St. Emmeram befindet. Ich bewohne da zwei Klosterzellen, die noch das mittelalterliche Gewölbe haben.

Trotz oder gerade wegen Ihres hohen Arbeitspensums: Sie sind kein Kind von Traurigkeit und können das Leben durchaus genießen. Worauf freuen Sie sich besonders, wenn Sie jetzt etwas mehr Zeit haben?
Dass ich meine Pfeifen gründlicher putzen und auch eine Art von geistlichen Hobbys pflegen kann: Ich sammle alte Brevierausgaben. Da findet man häufig wirkliche Schätze – zum Beispiel die Breviertexte zu den Votivmessen an den Wochentagen zu Engeln, Eucharistie und so weiter. Ich hoffe, dass ich in dieses erweiterte Breviergebet noch mehr Zeit investieren kann.

Wie oft hat Ihnen in den vergangenen 30 Jahren die Gottesmutter geholfen?
Ich glaube, die war ständig im Einsatz. Und ich habe ihr sicherlich nicht viel Freude bereitet. Als ich meiner Mutter damals sagte, dass ich nach Vesperbild gehen werde, hat sie nur gesagt: „Jetzt holt sie dich ganz!“ Das stimmt auch. Ich hatte immer das Gefühl, nicht ganz alleine zu sein, auch wenn die Einschläge näher kamen – ich hatte das Gefühl, beschützt zu sein. Das ist ganz wichtig, und ich wünsche das jedem Menschen, speziell jedem Priester: dass er das Gefühl hat oder bekommt, beschützt zu sein.

Gibt es ein Wiedersehen mit Ihnen in Maria Vesperbild, beispielsweise als Prediger an Pfingsten oder an Mariä Himmelfahrt?
Das müssen Sie meinen Nachfolger fragen! Eine Schwierigkeit bei mir ist grundsätzlich, dass ich kein guter Autofahrer und erst recht kein Langstreckenfahrer bin. Ich bin also ein bisschen immobil. Dies kam mir hier als Wallfahrtsdirektor zugute, denn ich war tatsächlich ganz selten weg. Wie sich das in Zukunft gestalten wird, da habe ich noch keine Ahnung. Mein Auto jedenfalls werde ich abmelden.
Interview: Johannes Müller

Hinweis
Apostolischer Protonotar Wilhelm Imkamp wird an Silvester nach dem Pilgeramt um 10.15 Uhr von der Kirchenverwaltung in Maria Vesperbild verabschiedet. Am Abend um 19 Uhr predigt er nochmals, ebenso an Neujahr. Die Amtseinführung von Monsignore Erwin Reichart als Nachfolger nimmt Generalvikar Harald Heinrich am Sonntag, 7. Januar, um 10.15 Uhr in der Wallfahrtskirche vor.