Weg mit zwölf Tafeln erinnert an Displaced Persons im Kloster St. Ottilien

Erinnerung an dramatische Zeit

ST. OTTILIEN – Unter den zahlreichen Besuchern der Erzabtei St. Ottilien sind auch solche, die eine besondere Verbindung zu diesem Ort haben: Es sind jüdische Gäste  auf der Suche nach ihrer Vergangenheit. Sie selbst oder ihre Vorfahren waren „Displaced Persons“ (DP), Menschen, die ihre Heimat verloren hatten und nach ihrer Befreiung aus dem Konzentrationslager in St. Ottilien Zuflucht fanden oder gar hier geboren wurden. 

Von 1945 bis 1948 gab es innerhalb des Klosters ein sogenanntes DP-Camp für jüdische Holocaust-Überlebende. Dessen Geschichte wird jetzt anhand von zwölf über das Gelände verteilten Stationen erzählt. Pater Cyrill Schäfer hat es sich darüber hinaus zur Aufgabe gemacht, dieses dramatische Kapitel in der Geschichte der Benediktiner-Abtei auch digital zu dokumentieren. 

„Die Begegnung der Besucher mit ihrer Vergangenheit ist meist sehr emotional“, stellt der Pater immer wieder fest, wenn er Gäste über das Gelände führt. Nun stehen Stelen an den jeweiligen Orten und erzählen nicht nur das, was dort vor sich ging, in deutscher und englischer Sprache – sie lassen auch Augenzeugen zu Wort kommen. 

Sehr berührend ist beispielsweise das Ereignis auf dem Konzertplatz neben dem Krankenhaus 2 (heute das Gymnasium). Es ist die Station Nummer 10: Hier spielten am 27. Mai 1945 – nur einen Monat nach ihrer Befreiung – ehemalige jüdische Häftlinge vor 400 Gästen ein Befreiungskonzert. Neben traditioneller jüdischer Musik waren Stücke von Georges Bizet und Edvard Grieg zu hören. 

Ben Edelbaum schildert seine Empfindungen, die er sicher mit allen Anwesenden teilte, so: „Unsere Herzen wurden von einem besonderen Stolz erfüllt. Diese Leute, die die KZ-Häftlingskleidung noch symbolhaft trugen, repräsentierten eine neue Ära, ein neues Volk. Das alles zeigte, dass Hitler niemals hätte erreichen können, was er versucht hatte der Menschheit anzutun.“

Wie kamen diese Displaced Persons, wie die aus ihrer Heimat ins KZ verschleppten Menschen von den amerikanischen Besatzern genannt wurden, nach St. Ottilien? 1941 wurde die seit 1887 in St. Ottilien ansässige klösterliche Gemeinschaft von den Nationalsozialisten aufgelöst. Die Mönche wurden in andere Klöster verteilt, eingezogen oder zum Arbeitsdienst verpflichtet. In der Abtei wurde ein Wehrmachtslazarett eingerichtet.

Am 26. April 1945 bombardierten die Alliierten bei Schwabhausen einen Güterzug, der 3500 Gefangene von Kaufering ins Konzen-
trationslager Dachau bringen sollte. Rund 500 der jüdischen Überlebenden fanden Zuflucht und medizinische Behandlung in der nahen Erzabtei. 

Die Tafeln des Erinnerungsweges informieren über die medizinische Versorgung in zwei Krankenhäusern und zeigen, wo die Ärzte, das medizinische Personal sowie die ehemaligen Häftlinge wohnten. Und sie berichten von den Aktivitäten der jüdischen Bewohner. Dabei wird deutlich, mit welcher Vehemenz diese ihr neues, freies Leben gestalteten, ihm Struktur gaben.

Mit Talmudschule

In der ehemaligen Druckerei wurden ein Kindergarten und eine Talmudschule eingerichtet. Die jüngeren Kinder erhielten Schul-
unterricht, ältere möglichst eine Ausbildung. Es gab sportliche und kulturelle Angebote, eine koschere Küche und eine Betstube zur Ausübung der jüdischen Religion. 1946 wurde in der klostereigenen Druckerei eine Talmud-Ausgabe gedruckt. Der litauische Arzt Dr. Zalman Grinberg organisierte nicht nur die medizinische Versorgung, sondern trug auch maßgeblich dazu bei, dass in St. Ottilien rasch eine regelrechte jüdische Gemeinde mit funktionierender Selbstvertretung entstand. Und so gibt auch einen Friedhof, auf dem 76 Personen nach jüdischem Ritus bestattet wurden. 

Das schönste und deutlichste Zeichen der Hoffnung befindet sich gleich am Anfang, bei Station 2 des Erinnerungsweges – das Geburtshaus. Gegenüber dem ehemaligen Krankenhaus 1 (heute Gästehaus) und in unmittelbarer Nähe der Ärztevillen gelegen, wurde das 1908 für Klostergäste errichtete Gebäude zur Geburtenstation. In den drei Jahren des Bestehens kamen dort viele Babies zur Welt. Insgesamt 428, etwa drei Viertel davon, in den Jahren 1946 und 1947.

Nicht reibungslos

Das Miteinander der katholischen und der jüdischen Religionen sowie zweier entgegengesetzter Lebensformen – der welthungrigen der Holocaust-Überlebenden und der zurückgezogenen, kontemplativen der Mönche – verlief nicht immer reibungslos. Aber im Laufe der Zeit fanden immer mehr Displaced Persons eine neue Heimat – etwa in Palästina oder den USA. So lebten im November 1948 nur noch 28 von ihnen in St. Ottilien. Die Enteignung der Erzabtei wurde rückgängig gemacht und die Benediktinermönche konnten zur Normalität ihres klösterlichen Lebens zurückkehren. 

Ingeborg Anderson

Info: 

Die digitale Dokumentation ist im Internet zu finden: dpcamp-ottilien.org.