Predigt bei der Weihe am Samstag, 11. Juli, in St. Ulrich und Afra von Bischof Bertram Meier

Der Diakon als betender Mensch: Weniger Handy, mehr Rosenkranz!

Wie gelebt, so gestorben. Im Tod, so heißt es, sieht man, wie jemand gelebt hat. Gerade im Sterben des hl. Benedikt wird dies deutlich. Im Bericht über seinen Tod, der uns von Papst Gregor dem Großen überliefert ist, lesen wir: „Sechs Tage vor seinem Tod ließ Benedikt sein Grab öffnen. Bald darauf befiel ihn hohes Fieber, und große Hitze schwächte ihn. Von Tag zu Tag verfielen zunehmend seine Kräfte. Am sechsten Tag ließ er sich von seinen Jüngern in die Kirche tragen; dort stärkte er sich durch den Empfang des Leibes und Blutes unseres Herrn für seinen Tod. Er ließ seine geschwächten Glieder von den Händen seiner Schüler stützen. So stand er da, die Hände zum Himmel erhoben, und hauchte unter Worten des Gebetes seinen Geist aus.“ (Dialoge II,37).

Liebe Weihekandidaten, ursprünglich war meine Bischofsweihe für den 21. März geplant, den Sterbetag des hl. Benedikt. Heute feiern wir Ihre ebenfalls wegen Corona verschobene Diakonenweihe am Fest des hl. Benedikt. Darin sehe ich eine schöne Fügung. Was heißt das für Diakone, wenn sie sich mit einem so starken benediktinischen Vorzeichen in den Dienst nehmen lassen?

Der Bericht des hl. Papstes Gregor, Benedikts Biographen, stellt den Tod des Mönchsvaters ganz in das Licht Christi: nicht nur, dass Benedikt kurz vor seinem Hinscheiden gestärkt wird durch den Empfang der Eucharistie, sondern auch dadurch, dass weitere Details mit Bezug zum Tod Christi ins Spiel kommen. Sechs Tage vor dem Paschafest lässt Jesus die Salbung durch Maria in Betanien zu (Joh 12,1-11) – gleichsam als „Einstieg“ in die dramatische Woche um Leben und Tod. Sechs Tage vor seinem Heimgang lässt Benedikt sein Grab öffnen und bereitet sich so für sein eigenes Sterben. Jesus stirbt, indem er sich an den Vater mit den Worten wendet: „Es ist vollbracht“ (Joh 19,30). Auch Benedikt stirbt als Betender. Schließlich: die stehende Haltung und die ausgestreckten, erhobenen Hände zeigen Benedikts Aufrichtigkeit. Selbst in seinem Sterben bleibt er aufrecht und nimmt Kreuzesgestalt an. Im Sterben des hl. Benedikt verdichtet sich sein ganzes Leben: aufrecht, erwachsen, gereift, stehend vor Gott und ruhend in Gott, von der Gemeinschaft der Brüder gehalten, auf menschliche Art, die kreuzförmig ist: wie gelebt, so gestorben.

In der Darstellung Benedikts, wie er sich auf die Brüder stützt, lebt zudem eine Schlüsselszene aus dem Alten Testament auf. Es geht um Mose, der während einer kriegerischen Auseinandersetzung des auserwählten Volkes zum Herrn betet. Solange Mose seine Arme zum Gebet erhoben hält, ist Israel überlegen. Doch sobald er sie ermüdet sinken lässt, gewinnen die Feinde an Kraft. Aaron und Hur, seine treuen Gefährten in dieser kritischen Zeit, stützen daraufhin die Arme des Mose, sodass Israel schließlich als Sieger aus der Schlacht hervorgeht (vgl. Ex 17,8-15). Wenn wir Gregors Bericht über den Tod Benedikts im Licht dieser Stelle aus dem Buch Exodus lesen, dann erkennen wir Benedikt - selbst in der Stunde, da seine Kräfte schwinden - als Siegergestalt: ein Beter im Haus Gottes, gestärkt durch Christus in der Eucharistie, in der Krise getragen und gestützt durch den Beistand der Brüder. Kann es ein besseres Programm geben für Diakone, die sich auf die Priesterweihe vorbereiten?

Im Vorgespräch hat einer von Ihnen, liebe Weihekandidaten, folgendes gesagt: „Die Diakonenweihe ist für mich die Basis für alles, was danach kommt.“ Damit hat er den Nagel auf den Kopf getroffen: Das Fundament für Ihr angestrebtes Priestersein liegt im Diakonat. Konkret heißt das auch: Die Basis für alle Ihre künftigen Aktivitäten und Projekte ist das Gebet. Ich werde Sie fragen: „Seid ihr bereit, aus dem Geist der Innerlichkeit zu leben, Männer des Gebetes zu werden und in diesem Geist das Stundengebet als euren Dienst zusammen mit dem Volk Gottes und für dieses Volk, ja für die ganze Welt treu zu verrichten?“ Mögen Sie immer mehr zu Männern des Gebetes reifen! Auch das ist wesentlich Diakonat, Dienst für die Menschen, die nicht mehr beten können oder wollen.

Freilich müssen wir zugeben: Das Wort vom Dienen geht uns heute in der Kirche oft allzu schnell und glatt über die Lippen. Im Gefolge des Zweiten Vatikanischen Konzils haben wir es uns angewöhnt, in den Amtsträgern vor allem Diener zu sehen. Kein Zweifel, das ist tief in der Heiligen Schrift begründet. Doch die Rede vom Dienst muss zu einer Lebensform des Dienens werden. In der Tat sollen unsere künftigen Diakone Diener sein; sie stellen sich in den Dienst des Herrn als Stellvertreter und Vermittler. Das ist, meine lieben Weihekandidaten, der eigentliche Quantensprung, der mit der Weihe geschieht. Da kommt jemand aus dem Volk – ganz Mensch, und plötzlich steht er für Gott vor dem Volk, und er steht für das Volk vor Gott – wie Mose auf dem Berg Horeb und wie Benedikt auf dem Monte Cassino.

Dieser Standort hebt hervor, birgt aber auch eine Versuchung. Denn der Berg entrückt. Auf dem Berg kann man leicht abheben. Dann stellen sich auf einmal Starallüren ein, und Menschen – selbst wenn sie sich Geistliche nennen – führen sich wie Herrgötter auf. Unter der Hand werden Dienstamt und Berufung als Herrschaftsinstrumente missbraucht. Im Gewand des Dienstes verbirgt sich der Wille zur Macht und zur Selbstdarstellung.

Vergessen Sie darum auch als Diakone das Bild des Mose nicht, wenn Sie die Hände erheben und für die Gemeinde die Orantehaltung einnehmen. Ehrlich gefragt: Haben wir wirklich die Kraft, die Hände zu erheben wie Mose? Und haben wir auch den Mut, die Arme so tief sinken zu lassen, dass andere merken: Wir schaffen’s nicht allein und sind bereit, die Hilfe anderer anzunehmen? Mir geht immer wieder auf: Ich darf die Hände auch einmal sinken lassen, damit andere eine Stütze darunter stellen oder sich selbst zur Stütze machen. Das ist tröstlich und stärkt – und es entlastet enorm: Sonst überheben wir uns, wir brechen zusammen und können nicht mehr. Gott bewahre uns davor! Und ich bitte Sie: Halten Sie als Weihejahrgang zusammen! Tauschen Sie sich aus! Denken Sie später immer wieder daran, dass Sie heute gemeinsam auf dem Teppich lagen und Ihnen in derselben Feier die Hände aufgelegt wurden.

Denn auch geistliche Menschen sind nicht immun gegenüber der Erfahrung: Man hat nichts mehr in der Hand, man hat (scheinbar) keine Erfolge vorzuweisen, alles ist aus der Hand entglitten oder wie Wüstensand zwischen den Fingern zerronnen. Und dann doch noch die Hände zum Herrn erheben – für sich und für andere? Oft lassen wir dann lieber den Kopf hängen und die Hände sinken. Was wären wir in solchen Situationen ohne die, die uns stützen? Ich bitte Sie alle, die Sie hier zu diesem festlichen Gottesdienst versammelt sind und den Weg unserer Weihekandidaten begleiten: Stehen Sie hinter ihnen, stärken Sie den künftigen Diakonen den Rücken und halten Sie weiterhin mit Ihren Armen die leeren Hände dieser jungen Männer hoch! Denn davon hängt auch deren Lebensweg als Geistliche wesentlich ab: dass die Hände ausgebreitet und hochgestreckt bleiben. Das gilt für alle geweihten Männer jedweder Stufe im Dienst der Kirche: Wenn wir unsere Hände nicht mehr ausbreiten, ist bald alles verloren. Es kann uns nichts Schlimmeres passieren, als diese urmenschliche Gebärde des Gebetes zu vernachlässigen oder gar fallen zu lassen. Liebe Weihekandidaten, wenn Sie in Zukunft mit Disziplin und engmaschig Ihren Terminkalender organisieren müssen, dann streichen Sie bitte niemals Gott aus Ihrer Agenda! Er soll Ihr erster Gesprächspartner sein und immer mehr werden. Manchmal stelle ich mir selbst die Gewissensfrage: Was habe ich mehr und öfter in der Hand – das Handy oder den Rosenkranz?

Strecken wir unsere Hände dem Herrn entgegen und lassen wir uns dabei helfen von Menschen, die uns stützen und tragen! Neben Mose und Benedikt rückt hier Jesus in den Blick. Es ist wieder ein Berg, geographisch eher eine Anhöhe, wo sich das zuträgt: der Ölberg. Jesus ist gerade dadurch unser Vorbild, dass er dort selbst die Ohnmacht durchlitten und sich dem tiefsten Geheimnis der Erlösung gefügt hat: kein Mensch hat ihn gestützt, er war alleingelassen von seinen Freunden, die eingeschlafen waren. Menschlich in einer schier ausweglosen Situation, hat Jesus zum Vater gebetet und zu ihm Augen und Hände erhoben (Lk 22,39-46). Dann wird er auf seine ausgestreckten Hände festgenagelt am Kreuz. Vom Holz des Kreuzes heraus wächst die Kraft zur geistlichen Führung, der Dienst zum Trösten, diakonale Existenz. Jesus: der gekreuzigte Diakon!

Gleich wird sich der Gestus der Hände für einen Augenblick ändern: nicht ausgestreckt nach oben, sondern zusammengefügt lege ich meine Hände auf die Köpfe unserer jungen Männer. Liebe Weihekandidaten, die Hoffnung, die uns in Christus geschenkt ist, sammelt sich im Sakrament der Weihe; sie senkt sich auf Sie nieder. Das ist nicht unser Werk. Ich selbst stehe da mit leeren Händen. Christus ist es, der Sie weiht, damit Sie künftig in seinem Namen die Hände erheben als „Stimme des Wortes“ und „Schale der Gnade“. Ich wünsche jedem von Ihnen, dass Sie ein kleiner Benedikt werden: ein vom Herrn Gesegneter, der zum Segen wird für viele. Amen.

11.07.2020 - Bistum Augsburg , Gottesdienst