Bis zur Decke stapeln sich die Schädel und Knochen – sterbliche Überreste von Menschen: Alte und Junge, Männer, Frauen und Kinder. Bis zu 20 000 Tote, schätzt man, haben in Oppenheims Michaelskapelle ihre letzte Ruhestätte gefunden, in dem gotischen Karner neben der Katharinenkirche. Es ist das wohl größte Beinhaus Deutschlands.
Manuela Rimbach-Sator ist Pfarrerin der evangelischen Katharinenkirche. Zusammen mit einem Stab von 20 Männern und Frauen wechselt sie sich in der Führung zum Karner ab, wie die um eine Kapelle erweiterten Beinhäuser allgemein heißen. Hin und wieder führen sie auch Schulklassen. „Kinder“, weiß die Pfarrerin aus Erfahrung, „haben vor den Schädeln und Knochen keine Angst. Die wird ihnen höchstens zu Hause eingeimpft.“
Meterhoch stapeln sich in dem rund 70 Quadratmeter großen Gewölbekeller die menschlichen Überreste. Sie stammen von Oppenheimer Bürgern, die zwischen 1400 und 1750 nach einer gewissen Liegezeit auf dem zur Katharinenkirche gehörenden Friedhof umgebettet wurden. Viele waren Opfer von Pest, Kriegen und Hunger. Den meisten Leben aber setzte der Tod irgendwann ein natürliches Ende.
Friedhöfe waren überfüllt
Weil sich im Mittelalter die meist um die Kirchen gelegenen Friedhöfe immer mehr füllten, wurde es Sitte, die nicht verwesten Knochen und Schädel nach einer gewissen Liegezeit in Beinhäusern zu lagern. Beflügelt wurden diese Ideen durch kirchliche Synoden in Münster (1279) und Köln (1280), die für solche Bauten warben. Man wollte verhindern, dass Schweine oder andere Tiere Knochen und Schädel aus dem Erdreich buddelten.
Noch fehlten den Beinhäusen die darüber liegenden Kapellen, die erst später populär wurden, als man zu Ehren der Toten begann, Gedächtnisgottesdienste zu feiern. Es war die Geburtsstunde der Karner. Eine solche kleine Friedhofskapelle setzte man auch in Oppenheim an der Wende vom 14. zum 15. Jahrhundert ins ansteigende Gelände hinter der Katharinenkirche. Geweiht ist Oppenheims Karner wie fast alle Beinhäuser dem Erzengel Michael, der oft mit einer Seelenwaage dargestellt wird und dem Volksglauben zufolge am Jüngsten Tag mit über die Menschen richten wird.