Die Tendenz geht steil nach oben. Nach bald zweijähriger Corona-Krise deutet alles darauf hin, dass der Jakobsweg die Kurve gekriegt hat. Auf die Wiederbelebung des Pilgerwesens 2021 könnte im verlängerten heiligen Jakobusjahr ein neuer Rekord folgen.
Oft zieht sich die Warteschlange vom Haupteingang der Kathedrale von Santiago de Compostela, dem Südportal, bis zum östlichen Vorplatz. Nimmt man den Andrang zur Zwölf-Uhr-Mittagsmesse im Pilgerjahr 2021 als Maßstab, braucht es einem um Gegenwart und Zukunft katholischer Glaubenspraxis nicht bange zu sein. Immer wieder müssen viele, die anstehen, letztlich draußen bleiben. Allerdings waren und sind die Platzkapazitäten im Dom coronabedingt beschränkt und unter den Wartenden auch rein kulturinteressierte Besucher.
Der Zulauf indes zeigt: Mit Santiago als Pilgerstadt geht es wieder aufwärts. Sogar organisierte Kultur- und Wanderreisen auf dem Jakobsweg sind wieder angelaufen. Darunter Touren des Busveranstalters Hauser Reisen aus dem schwäbischen Rottweil. Zugegebenermaßen waren die beiden Herbstreisen mit insgesamt nur 31 Teilnehmern in bescheidener Gruppenstärke unterwegs.
Veranstalter schöpfen Mut
Doch der Neuanfang ist gemacht. Hauser bietet künftig zwei Frühjahrsreisen an. Auch andere Veranstalter schöpfen Mut – auch wenn die Krise die Branche jetzt im Winter wieder fest im Griff hat. In einigen Monaten, so hofft man, wird sich das Blatt aufs Neue zum Positiven gewendet haben.
Die Zahlen aus dem Pilgerbüro aus Santiago belegen die Wiederaufbruchsstimmung, die unter Pilgern herrscht. Nach dem Krisenjahr 2020, in dem der Jakobsweg über drei Monate lang gesperrt war und insgesamt lediglich 54 143 Pilger ihre Urkunde in Empfang nahmen, waren es 2021 bis Ende Dezember etwa 180 000 Ankömmlinge.
Die Voraussetzung dafür, dass sie die „Compostela“ erhalten, ist, dass sie anhand der Stempel in ihrem Pilgerpass nachweisen, mindestens die letzten 100 Kilometer bis Santiago zu Fuß oder die letzten 200 Kilometer mit dem Fahrrad zurückgelegt zu haben. Die Bedingungen dafür waren seit Ausbruch der Krise freilich erschwert. Bis weit in 2021 hinein herrschte in Spanien eine Maskenpflicht im Freien – offiziell sogar auf freiem Feld und im Wald. Manche Pilgerherbergen blieben geschlossen, bei den geöffneten Übernachtungsstätten gab es Obergrenzen bei der Belegung. Zudem hat sich mittlerweile die Praxis der Reservierung etabliert. Wer es, wie noch vor ein paar Jahren, auf gut Glück versucht, wird manchmal abgewiesen.
Viele waren rücksichtslos
Jochen, ein Bänker aus Süddeutschland, erzählt bei einer Begegnung in Hontanas, einem Dorf in der Provinz Burgos, er habe unterwegs gelobt, nicht mehr in Herbergen zu schlafen. „Ich habe nichts gegen einfach und spartanisch – aber gegen rücksichtslos“, ärgert er sich. Im Pyrenäenkloster Roncesvalles sei es noch gut gewesen: „Bettruhe und Licht aus um 22 Uhr, am Morgen mit spirituellen Gesängen vom Band geweckt.“ Doch fortan seien die Mitpilger oft sehr rücksichtslos gewesen: „Manche hingen bis nach Mitternacht am Handy und andere ab vier, halb fünf morgens.“ Darüber hinaus kam ihm ein zu zwei Dritteln belegter Dreißiger-Schlafsaal unter Corona-Bedingungen „sehr voll“ vor, erfüllt von störenden Geräuschen, die Menschen so von sich geben: „Es wurde gepupst, gerülpst, geschnarcht.“ Also offenbar alles wie vor Corona – irgendwie beruhigend!