Totenkult unterm Felsengesicht

Antequera und seine 5000 Jahre alten Dolmen

Ob Allerseelen, Volkstrauertag oder evangelischer Totensonntag: Der November steht nicht nur in Deutschland ganz im Zeichen des Totengedenkens und der Trauer. Ein Einblick, wie vor Jahrtausenden mit dem Andenken an Verstorbene umgegangen wurde, bietet sich nahe der südspanischen Stadt Antequera.

Schon der Name der Kleinstadt nordwestlich von Málaga weist in die Vergangenheit: Die Römer errichteten dort die Siedlung Anticaria. Bei den muslimischen Mauren, die von 711 bis 1492 auf der Iberischen Halbinsel herrschten, hieß das Städtchen Medina Antaquira. Die Eroberung Antequeras 1410 durch Ferdinand I. von Aragón war ein bedeutender Schritt bei der „Reconquista“, der Rückeroberung des Landes durch die Christen.
Der Handel machte Antequera  reich. Im 16. Jahrhundert wurde es das „Herz Andalu­siens“ genannt. Das Land rund um die Stadt, bewässert vom Río Guadalhorce, ist fruchtbar. Schon die Römer schätzten das von dort stammende Olivenöl. Das war vor 2000 Jahren – eine kurze Zeitspanne verglichen mit den mehr als 5000 Jahre alten Dolmen von Menga und Viera, vorzeitlichen Grab-
anlagen unweit des Stadtrands.

Ungewöhnliche Richtung

Aufgrund der ungewöhnlichen Ausrichtung des Dolmen de Menga gen Nordosten und des nahen Hügelgrabs von El Romeral nach Südsüdwest zählen diese prähistorischen Stätten seit vorigem Jahr zum Weltkulturerbe der ­Unesco. Vergleichbare Bauten auf der Iberischen Halbinsel sind stets Richtung Sonnenaufgang ausgerichtet.
Maßgeblich für die besondere Bauart des Dolmen de Menga war vermutlich der Peña de los Enamorados (Berg der Liebenden). Sein breiter Kamm lässt an ein riesiges, himmelwärts gewandtes Männergesicht denken. Für die Menschen vor fünf Jahrtausenden könnte es eine schlafende Gottheit dargestellt haben.  
Besonders deutlich wird die Beziehung zu dem Berg für den Besucher, wenn er aus dem von klobigen Granitsteinen erbauten Eingang ins Land schaut – und dann direkt auf den Peña blickt. Bei der Sommersonnenwende im Juni scheint die Morgensonne über den Gipfel genau in den Eingang. Exakt so haben es offenbar die Menschen der Jungsteinzeit geplant.
Der Dolmen de Menga gilt als einer der größten in ganz Europa. Die Deckenplatten wiegen rund 180 Tonnen. Ein Film im angeschlossenen Museum zeigt, wie der Transport dieser ungeheuer schweren Materialien wahrscheinlich bewerkstelligt wurde: auf Holzschienen und unter Einsatz von Pferden und vielen Männern, die sich selbst ins Geschirr legten und so die Lasten vorwärts zogen, schoben und rollten.
Offenbar besaßen die Bauleute der Vorzeit auch Kenntnisse über Hebeltechnik und Flaschenzug, um die gewichtigen Granitpfeiler aufzurichten und die Deckenplatten emporzuheben. Ähnliche Herausforderungen wurden auch im englischen Stonehenge und im irischen Newgrange gemeistert. Wissenschaftler haben die vermuteten Transportanlagen nachgebaut und mit solch einfachen Mitteln erfolgreich schwere Steine bewegt.
Aber wurden die Dolmen bei Antequera wirklich für die Toten errichtet? Da man weder Knochen noch Grabbeigaben gefunden hat, sehen einige Forscher in ihnen eher Kultstätten im Schatten des Bergs der Liebenden, des Felsens mit dem Riesengesicht. Allerdings weist womöglich auch dessen Name auf das Totengedenken: Der Sage nach haben sich zwei Liebende, die nicht heiraten durften, vom Peña de los Enamorados in den Tod gestürzt.

Ursula Wiegand

03.11.2017 - Ausland , Magazin