Frommer Wandschmuck aus Friesland

Wie Instagram für Gläubige

„Ein Bild sagt mehr als viele Worte“, sagt der Volksmund. Wer sich mit Bibel­fliesen beschäftigt, dem wird bewusst, dass diese Weisheit wahrlich keine Erfindung des Internetzeitalters mit seiner Bilderflut auf Instagram und Co. ist: Keramikfliesen, die kunstvoll mit Darstellungen aus Bibelgeschichten bemalt wurden, kennt man etwa seit dem frühen 17. Jahrhundert. 

Von Holland ausgehend fanden sie überwiegend im norddeutschen Raum Verbreitung. Vor allem im 18. Jahrhundert gehörten sie zum Inventar friesischer Bürgerhäuser und Bauernhöfe. Die kunstvollen Minia­turen, meist im Delfter Blau oder im Braunton Mangan gehalten, zeigen Szenen aus dem Alten und Neuen Testament. Die mitunter comic­artig anmutenden Darstellungen verdichten biblische Erzählungen auf ein einziges Motiv. Der Faszination ihrer Bildsprache kann man sich als Gläubiger kaum entziehen. 

„Glasierte Predigten“

So erging es auch Kurt Perrey, als er vor rund 20 Jahren damit begann, die „glasierten Predigten“ genauer zu erforschen. „Im Jahr 2003 ging das so richtig los“, erinnert sich der evangelische Theologe, der bis 2000 Pfarrer in Norden (Ostfriesland) war und seit 2011 im westfälischen Emsdetten lebt. „Man bat mich, zum ökumenischen ,Jahr der Bibel‘ ein Projekt zu entwickeln, das typisch friesisch und echt biblisch sein sollte“, erinnert sich der 78-Jährige. 

Das gab den Anstoß  für eine tiefere Auseinandersetzung mit dem damals nahezu vergessenen Kulturgut. Ein Arbeitskreis Ehrenamtlicher bildete sich, der eine erste Ausstellung zu den Bibelfliesen organisierte. Daraus entstand später eine Wanderausstellung, die inzwischen an über 100 Standorten in Deutschland gezeigt wurde. 

2008 veröffentlichte das Norder Bibelfliesenteam die „Fliesenbibel“, eine mit rund 600 Bibelfliesen illustrierte Ausgabe der Bibel in der ökumenischen Gute-Nachricht-Übersetzung. Zudem wurde eine Reihe mit kleinen Themenheften zu einzelnen Schwerpunkten publiziert. Ein Ausstellungskatalog und weitere Fachbücher zum Thema folgten, ebenso mehrere thematische Bibel­fliesen-Posterreihen für gesonderte Ausstellungen.

Eine Folge des calvinistischen Bilderverbots

Kurt Perrey ist längst so etwas wie ein Lexikon auf zwei Beinen, wenn es um Bibelfliesen geht. Er vermutet, dass deren starke Verbreitung von Holland her auch eine Folge des Bilderverbots in Kirchen der Calvinisten in den Niederlanden war: Weil Bilddarstellungen zunehmend aus Kirchen verschwanden, verlagerten sie sich stärker ins Private. „Das war ein stiller Protest: So wanderten die biblischen Geschichten, dargestellt auf Fliesen, dorthin, wo die Menschen lebten und arbeiteten.“

Als der „Bibelfliesenpastor“ vor elf Jahren seinen Lebensmittelpunkt nach Westfalen verlagerte, sollte eigentlich Schluss sein mit dem zeitaufwendigen Hob­by. „Dann ging ich eines Abends mit meiner Frau essen und entdeckte in einer alten Gaststätte eine wunderschöne Bibelfliesenwand über dem Kamin“, erinnert sich Perrey. Sofort war das Feuer für die alte Leidenschaft wieder entfacht. 

Perrey scharte einen Kreis ehrenamtlicher Mitstreiter um sich und setzte die Arbeit fort. Zur Emsdettener Projektgruppe zählt auch Gerd Endemann. Der 77-jährige pensionierte Informatiklehrer bringt vor allem sein gestalterisches Talent ein und ist zum Beispiel für den Entwurf von Segens- und Motivpostkarten zuständig, die beim Bibelfliesenteam bestellt werden können. 

„Moderne Druckverfahren machen es uns möglich, die Karten in hoher Stückzahl preiswert zu drucken“, freut sich Endemann. Tatsächlich finden die Darstellungen reißenden Absatz. Aktuell nutzt die Gruppe die Karten, um Spenden für Kriegsflüchtlinge aus der Ukraine zu sammeln. Die Karten werden gegen eine Spende abgegeben. 

Jede Fliese ein Unikat

Übrigens: Im Neubau verbaut werden Bibelfliesen heute kaum noch. „Aber es gibt vor allem in den Niederlanden viele Sammler“, weiß Gerd Endemann. Kein Wunder: Jede einzelne Fliese, die eine der bis zu 30 niederländischen Manufakturen verließ, war handbemalt – und somit ein echtes Unikat. Das erklärt den hohen Sammlerwert. 

Für Kurt Perrey und seine Mitstreiter liegt der wahre Wert der kleinen Kunstschätze vor allem in ihrer missionarischen Strahlkraft: Besucher der Ausstellungen geben ihnen häufig die Rückmeldung, dass sie nach dem Betrachten der Bibel­fliesen „mal wieder in der Bibel gelesen hätten“ – manche so lange und intensiv wie nie zuvor.

Kay Müller

Informationen 

im Internet auf www.fliesenbibel.de. Bestellungen der Bibelfliesen-Postkarten per E-Mail: perrey.kue@gmx.net.

18.05.2022 - Bibel , Historisches , Kunst