Christfest in Bethlehem

Kein Grund zur Freude?

Der Absturz hätte kaum härter sein können. Ende 2019 waren die Besucherzahlen im Heiligen Land derart hoch, dass Reiseleiter ob der Wartezeiten an den heiligen Stätten heftig stöhnten. Reiseagenturen mussten Gruppen aufteilen und Busfahrer weit weg von Besichtigungsorten parken. Vor Jesu Geburtsgrotte standen die Pilger mitunter drei Stunden an. Dann kam Corona. Derzeit wartet man nicht länger als man ein Vaterunser betet.  

Arbeitslosigkeit und Armut gab es schon vor der Pandemie. Durch fehlenden Tourismus, die Lockdowns in Israel und eine zeitweise palästina­weite Ausgangssperre haben sie nicht nur in Bethlehem zugenommen. „Hatten wir vor der Pandemie schon eine Arbeitslosenrate von 21 Prozent, so ist sie jetzt doppelt so hoch: 40 bis 42 Prozent“, erklärte der Bethlehemer Volkswirt Sameer Hazboun schon im September. 

Betroffen sind alle, Muslime wie Christen. Manche erbitten Hilfe beim Franziskanischen Familienzentrum oder in einem der zahlreichen Klöster. Familienväter lassen im Tante-­Emma-Laden anschreiben oder sehen sich gezwungen, ihre Kinder aus den christlichen Privatschulen zu nehmen, weil sie die Schulgebühr nicht mehr zahlen können. Zu den Sorgen, wie man für Brot oder Bleistift aufkommen kann, gesellen sich die Probleme eines besetzten Landes.

Getöteter Jugendlicher

Die palästinensische Nachrichtenagentur Wafa zeigt beim Suchwort „Bethlehem“ allein für den November zahlreiche Schlagzeilen an: „Israel zerstört Wasserreservoir“ etwa. Oder: „Israel zerstört drei palästinensische Häuser“, „Israelische Sicherheitskräfte zerstören Dutzende von Ölbäumchen“ und „Israel macht eine Scheune für Vieh dem Erdboden gleich“. In einem Dorf bei Bethlehem wurde ein getöteter Jugendlicher zu Grabe getragen.

Kann da echte Weihnachtsfreude aufkommen? Die Christen in Bethlehem, deren Anteil an der Stadtbevölkerung längst unter 20 Prozent gefallen ist, stellen sich bange Fragen: Werden wir von Israel einen Passierschein erhalten, um Verwandte in Jerusalem oder in arabischen Dörfern Israels besuchen zu können? Dürfen unsere Verwandten aus dem Gaza-Streifen ausreisen? 

Die Sperrmauer, die Terroranschläge im israelischen Kernland verhindern soll, aber auch jüdisches Siedlungsgebiet von Palästina abtrennt, schneidet tief in Bethlehems Stadtgebiet hinein. Das umstrittene Bauwerk trägt viele Namen: Sicherheitszaun nennen sie die Befürworter, Apartheid- oder Land­raubmauer die Gegner.

Sorgen und Hoffnungen

Auf ihr sind die Sorgen und Nöte, aber auch die Hoffnungen zahlreicher Palästinenser ablesbar: auf unzähligen Graffiti – aber auch auf über 100 Poster der ortsansässigen christlichen Bildungseinrichtung „Arab Educa­tional Institute“. Das Mitglied der internationalen Friedensbewegung Pax Christi ließ darauf Muslime und Christen ihre Geschichte erzählen, ja buchstäblich von der Seele schreiben. 

„Nicht als Familie“ hat Mira ihre Zeilen überschrieben: „Wir haben eine Tante, sie lebt hinter der Mauer in Jerusalem“, schildert sie. „Vor dem Mauerbau haben wir sie regelmäßig besucht, aber derzeit können wir sie nur besuchen, wenn wir einen Passierschein erhalten, vielleicht zu Weihnachten. Aber meistens geben sie nur mir einen Passierschein und meinem Mann nicht oder umgekehrt.“ Ausgerechnet an Jesu Geburtsort fühlt Mira sich wie im „Gefängnis“. 

Der Bethlehemer evangelische Theologe Mitri Raheb, in Deutschland durch seine Auftritte bei Kirchentagen bekannt, nennt die Lage schon lange „wirklich aussichtslos“ – allein schon aufgrund des Mauer- und Siedlungsbaus. Nach Qalqilya sei Bethlehem die vom Mauerbau am meisten betroffene Stadt, erklärt der lutherische Pastor.

Palästinensergebiete mit niedriger Inzidenz

Während Israel beim Impfen gegen das Coronavirus unter den schnellsten Ländern der Welt war, hinkt Palästina weit hinterher: Gerade einmal ein Viertel der Bevölkerung ist vollständig geimpft. Nach Beginn der Auffrischungsimpfungen sank die Sieben-Tage-Inzidenz in Israel von über 800 im frühen Herbst auf aktuell nur noch rund 45. In den Palästinensergebieten liegt sie noch etwas niedriger.

Mit den sinkenden Zahlen kam die Hoffnung zurück in die wundgescheuerte palästinensische Seele. Ab Anfang November ließ Israel Touristen und Pilger unter strengen Auflagen – vollständige Impfung oder Genesung, PCR-Test vor Abflug und bei Ankunft – wieder ins Land und auch nach Palästina. Dann kam die Omikron-Variante des Coronavirus. Seitdem sind die Grenzen wieder dicht. 

Eine Gruppe des Internationalen Versöhnungsbunds Österreich konnte gerade noch einreisen. Keinerlei Bewegung sei im Nahostkonflikt zu verspüren – so ernüchternd fiel das Fazit der Reisenden nach zahlreichen Begegnungen aus. Andreas Paul, Krankenhausseelsorger in Linz, hat in Bethlehem den Kontrast erlebt zwischen dem lebendigen Markt der Einheimischen und geschlossenen Geschäften für Touristen. „Unsere Gruppe durfte sich frei bewegen, doch wegen Covid-19 nicht dort übernachten“, sagt er. 

Covid hat starke Auswirkungen auf Wirtschaft

In Bethlehem hat Paul „kraftvolle, lebendige Frauen und Männer“ getroffen, die sich in ihren jeweiligen Arbeitsfeldern engagieren und „dreifach dankbar sind, dass wir sie besuchen“. Er hat diese Begegnung als „nährend und belebend“ erfahren. Mitgenommen hat er, dass Palästinenser geübt sind, mit extremen Unsicherheiten und Einschränkungen zu leben. Als Mitteleuropäer sei man dagegen in der Pandemie „ziemlich unbeholfen“ und könne von den Palästinensern einiges lernen.

„Die Auswirkungen von Covid auf die Wirtschaft sind hart“, beklagt Claire Anastas, die in Bethlehem einen Souvenirladen und ein Gästehaus betreibt. „Die Lage ist schwierig. Wir haben aktuell keine Gäste. Touristen können nicht einreisen, um an unseren Weihnachtsfeierlichkeiten teilzuhaben.“ Selbst ihren Verbleib in Jesu Geburtsstadt stellt die 53-Jährige mittlerweile in Zweifel.

Ohne Touristen hat Bethlehem Schönheit verloren

„Wir hoffen, dass die Touristen zurückkommen“, sagt auch Nabil Giacaman. Ohne sie habe die Stadt „einen Teil ihrer Schönheit verloren“. Giacaman ist Olivenholzschnitzer und -händler an Bethlehems Krippenplatz. Seinen Laden im „Christmas House“ betreibt er mit seinem Bruder in fünfter Generation. In ihrer Werkstatt arbeiten Christen Seite an Seite mit Muslimen – ein Zeichen der Hoffnung über die Religionsgrenzen hinweg.

Wenige Schritte entfernt bietet der Krippenplatz ein weiteres Zeichen der Hoffnung: Hier steht auch im Corona-Jahr 2021 ein majestätischer Christbaum. Seine Kerzen wurden im Beisein von Palästinenserpräsident Mahmoud Abbas, Premierminister Muhammad Shtayyeh, Bethlehems Gouverneur Kamel Hamid und Tourismusministerin Rola Maaya entzündet. 

Die Weihnachtshauptstadt

Bürgermeister Anton Salman schickte eine Botschaft der Liebe und Wertschätzung aus der „Weihnachtshauptstadt Bethlehem“ in die Welt hinaus: „In Bethlehem manifestierte sich Gottes Wille und sein Wort wurde Fleisch durch die Geburt seines einzigen Sohnes in einer bescheidenen Grotte – damit er Retter und Erlöser für die Menschheit werde.“ Salman ist Christ und seit 2017 Bürgermeister der 30 000-Einwohner-Stadt, 

Die Pandemie habe die Stadt schwer getroffen, sagte er. Der Stillstand im Tourismus habe zu „großen finanziellen Verlusten“ geführt. Doch Bethlehem habe beschlossen, „ausgestattet mit den weihnachtlichen Werten, die Hoffnung über den Schmerz triumphieren zu lassen und Weihnachten mit großer Freude zu feiern“. Außerdem versichere man der Welt, dass Ungerechtigkeit niemals siegen werde. „Die Gerechtigkeit des Himmels wird schließlich einziehen.“

Johannes Zang

15.12.2021 - Corona , Nahost , Weihnachten