Dresdner Traditionsgebäck

Christstollen eint geteiltes Land

Vorweihnachtszeit in Deutschland Ende der 1960er Jahre. Das Land ist geteilt in Ost und West. Die Grenze trennt ganze Familien voneinander. Nach „drüben“, in die Ostzone, kann man nicht so einfach reisen. Gerade für westdeutsche Kinder ist es ein geheimnisvolles Land – so ganz anders als der Bodensee oder der Chiemsee, den sie vom Urlaub kennen.

Und doch gibt es eine Sache, die die getrennten Familien vereint: Dresdner Christstollen. So manche westdeutsche Familie wartet sehnsüchtig auf das Päckchen der Ost-Verwandtschaft. Es bedeutet für die zweigeteilte Familie eine große Freude, Zuversicht und Zusammenhalt. Und es wird klar, dass Weihnachten bevorsteht.

Therese Lehnart gehört zum Team der Backwirtschaft Wippler in Dresden-Pillnitz. 20 000 Stollen erblicken hier das Licht der Welt. „Da wird richtig rangeklotzt, um alles fertig zu bekommen“, sagt die Bäckermeisterin. Drei Monate vor Weihnachten beginnen die Vorbereitungen. 

Erste Aufzeichnungen über das Stollenbacken reichen ins Jahr 1414 zurück. Damals war der Stollen noch ein Fastengebäck, das nur mit wenigen einfachen Zutaten zubereitet wurde. Butter war in der (adventlichen) Fastenzeit untersagt. Erst der „Butterbrief“ von Papst Innozenz VIII. an den sächsischen Kurfürsten 1491 gestattete es, für den Dresdner Christstollen auch gehaltvollere Zutaten zu verwenden.

„Mandeln wurden wegen des besonderen Aromas in Rum eingelegt“, sagt Lehnart. Die Fachfrau kennt die Präferenzen der weltweiten Kundschaft. „Manche mögen ihn glitschig“, lacht sie. „Ich nicht. Damit liegt er mir zu schwer im Magen. Ich mag ihn trocken. Dann esse ich auch gerne ein Stückchen mehr“, betont die Vegetarierin. 

Dann plaudert sie aus dem Nähkästchen, erzählt von den kleinen 750-Gramm-Stollen, die auf Wunsch angefertigt werden. Auch davon, dass im Familienbetrieb Wippler, der mittlerweile in der vierten Generation Stollen herstellt, zwei Bäckereien mit ihren eigenen Zutaten backen dürfen. Marzipan jedoch ist für einen Dresdner Christstollen ein Tabu. „Das gehört bei uns nicht rein“, sagt sie. 

„Der Striezel sollte mindestens zehn Tage alt sein, bevor er in den Verkauf kommt“, ergänzt die gebürtige Lausitzerin. Sie selbst lässt ihn sechs Wochen lagern, denn erst dann sei er ausgereift und entfalte sein volles Aroma. „Stollen isst man nie mit der Kuchengabel, und aufgeschnitten wird er von der Mitte nach außen“, lautet der Geheimtipp der Konditorin. 

Dresdner Stollenmädchen

Markenbotschafterin des Tradi­tionsgebäcks ist das Dresdner Stollenmädchen, in diesem Jahr Lina Trepte. Weltweit ist sie in Sachen Christstollen unterwegs. Voraussetzungen für die Kandidatur: Die Stollenmädchen müssen selbst aus dem Handwerk kommen und mit ausgezeichnetem Stollen-Fachwissen glänzen. 

Seit 1994 findet immer am zweiten Adventssamstag in der Dresdner Innenstadt das Stollenfest statt. Die 18-jährige Radebeulerin Trepte kennt den historischen Hintergrund: „Kurfürst August der Starke veranstaltete im Jahr 1730 eine opulente Truppenschau, für die er einen 1,8 Tonnen schweren Riesenstollen backen ließ. Als Anfang der 1990er Jahre nach sächsischen Kulturschätzen geforscht wurde, stieß man auf einen Kupferstich von Elias Bäck, der einen Riesenstollen zeigt. So begann die Feier unseres jährlichen Dresdner Stollenfests. Die alte Tradition lebte wieder auf.“

In diesem Jahr wird das Dresdner Stollenfest zum 25. Mal gefeiert. Höhepunkt ist der etwa dreieinhalb Tonnen schwere Riesenstollen: rund vier Meter lang, zwei Meter breit und einen Meter hoch – und damit der größte Stollen der Welt. Nach seiner feierlichen Enthüllung auf dem Schlossplatz fährt der Riesenstollen auf einem vierspännigen Pferdefuhrwerk unter den Blicken tausender Schaulustiger  durch die Altstadt. „Es ist das am besten besuchte Wochenende in der Vorweihnachtszeit“, ergänzt Trepte. 

Ziel des Festumzugs, der aus dem Riesenstollenwagen, weiteren Festwagen, historischen Umzugsbildern, Fanfaren- und Spielmannszügen besteht, ist der Striezelmarkt auf dem Altmarkt. Dort wird der Riesenstollen vom Stollenmädchen und einem Dresdner Stollenbäcker angeschnitten und zum Verkauf angeboten. „Der Erlös des Stollenverkaufs kommt einem karitativen Zweck zugute“, erklärt Trepte.

Dresdner Christstollen werden ausschließlich in rund 120 Bäckereien und Konditoreien in und um Dresden hergestellt. Man erkennt sie am goldenen Qualitätssiegel, das August den Starken hoch zu Ross zeigt. Wer sich für das Backen der Spezialität selbst interessiert, ist beim Stollenbackkurs willkommen. In den Erlebnisbäckereien erfahren die Gäste unter anderem, wie viele Rosinen in einen Stollen gehören, warum dieser manchmal flüstert und was das Gebäck mit dem Christkind zu tun hat. 

Sabine Ludwig

Information

Das Dresdner Stollenfest findet an diesem Samstag, 8. Dezember, statt. Das Programm beginnt um 9.30 Uhr vor dem Hotel Taschenbergpalais Kempinski. Der Stollenverkauf auf dem Striezelmarkt beginnt gegen 12.15 Uhr. Weitere Informationen: www.dresdnerstollen.com/stollenfest.