Schikanen gegen Kirche

Die Partei spielt Papst

Nirgendwo auf der Welt werden jedes Jahr mehr Bibeln gedruckt als in China: 18 Millionen. Dabei ist das Land offiziell ungläubig. Auf dem Parteitag der Kommunisten wurde vor kurzem Xi Jinping als mächtigster Mann bestätigt. Seit er Ende 2012 als Parteichef an die Macht kam, ist es weitgehend vorbei mit der Freiheit für die Religionsgemeinschaften. Sie machen sich große Sorgen um die Zukunft.

Nach Jahren relativer Zurückhaltung geht die Pekinger Regierung wieder schärfer gegen Katholiken vor, die sich nicht der gelenkten Staatskirche unterordnen. Erneut betonte Jinping jetzt vor den Delegierten, Religion müsse „chinesisch“ sein. Gerade für die katholische Kirche wäre das ein krasser Widerspruch zur weltweiten Orientierung.
An der Tür zum Appartement, in dem sich regelmäßig eine Hauskirche in Zhuhai in der südchinesischen Provinz Guangdong trifft, hingen bis vor kurzem noch ein Kreuz und der Name der Kirche. Dann wurden die Türschilder entfernt und dort, wo früher Stuhlreihen standen, befindet sich nun eine Couch. „Wir versuchen, mehr wie eine Familie auszusehen, die sich zu einem Gespräch und einer Tasse Tee trifft, so dass uns niemand bei der Polizei meldet“, erzählt der 22 Jahre alte Enoch, der Mitglied in der Untergrundkirche ist.

Geistliche in Haft

Die Kirchen in China werden vorsichtig. Zwar gab es in dem kommunistisch-atheistischen Land nie echte Religionsfreiheit – selbst wenn diese in der Verfassung garantiert wird. Offiziell erlaubt sind nur die Staatskirchen, deren Oberhaupt das Regime in Peking ist. Weil das viele Christen ablehnen, haben sie sich zu Untergrundgemeinden zusammengeschlossen. Die werden schon immer drangsaliert, ihre Priester und Bischöfe unter Druck gesetzt und inhaftiert.
Doch in dem Maße, wie sich das Land in den vergangenen drei Jahrzehnten wirtschaftlich öffnete, entstanden Freiräume für die sich entwickelnde Zivilgesellschaft. Viele der Hauskirchen, von denen es Tausende gibt, blieben unbehelligt. Inzwischen bekennen sich laut Schätzungen 100 Millionen von knapp 1,4 Milliarden Chinesen zum Christentum. Die Mehrheit geht in Kirchen, die nicht offiziell registriert sind.
Mit Xi Jinping, der Ende 2012 Chinas Präsident wurde, endete jedoch die Phase der Liberalisierung und Offenheit. Seitdem wird das Leben wieder kontrolliert, werden die Grenzen des Erlaubten enger gesteckt, wird die Gefolgschaft der Gesellschaft zum Kommunismus eingefordert. Zahlreiche Blogger, Menschenrechtsaktivisten und Anwälte wurden inhaftiert und die Arbeit von Nichtregierungsorganisationen, vor allem der ausländischen, massiv eingeschränkt. Um das Internet werden immer höhere Wälle gebaut.
Noch nutzen Millionen Chinesen und Ausländer, die in China arbeiten, sogenannte VPN-Tunnel, um die Sperren der staatlichen Zensur zu umgehen. Ab dem kommenden Jahr sollen diese verboten werden. Auch die Kirchen trifft die harte Hand aus Peking: Sie sollen sich „sinisieren“, chinesisch werden. Neuerdings dürfen Kinder keine Gottesdienste mehr besuchen. In den Gemeinderäumen werden Kameras installiert, damit die lokalen Behörden die Gläubigen beobachten können. Kreuze werden von Kirchendächern gerissen, Gebäude demoliert, Bischöfe wie etwa Peter Shao von der Untergrundkirche in Wenzhou verschwinden.

Verschärfte Kontrollen

In wenigen Monaten tritt außerdem das überarbeitete Religionsgesetz in Kraft, das noch stärkere Kontrollen von Geistlichen vorsieht. Das Gleiche gilt für religiöse Materialien aus dem Ausland, Internetseiten und die Jugendarbeit. „In der Vergangenheit haben die Funktionäre ein Auge zugedrückt. Nun aber werden die Kirchen streng überwacht“, sagt Anthony Lam Sui-ki vom Holy Spirit Study Center in Hongkong. Die aktuelle Entwicklung sei sehr beunruhigend.
Der Vatikan hält sich bedeckt. Im vergangenen Jahr hatte Rom plötzlich – nach mehr als 60 Jahren Eiszeit – Gespräche mit Peking aufgenommen. Die Untergrundkirche zeigte sich entsetzt, sie fühlte sich verraten. Nur wenige Monate nach Beginn der Verhandlungen war von einer bald bevorstehenden Einigung zwischen Peking und Rom die Rede. Dann war nichts mehr zu hören – bis jetzt ein Dossier erschien, herausgegeben von der Vatikanischen Verlagsbuchhandlung, das die Schicksale sämtlicher chinesischer Bischöfe dokumentiert: Bischöfe, die unter Hausarrest stehen, die im Gefängnis sind, die nach Jahrzehnten von Zwangsarbeit und Isolation gestorben waren.
Kirchenexperten aus China, die ihren Namen nicht nennen wollen, sehen die Dokumentation als Warnung und auch Eingeständnis seitens des Vatikan, dass es eine Annäherung wohl doch so schnell nicht geben wird. „Es ist außerdem ein Zeichen an die Untergrundkirche, dass ihr Leiden in Rom durchaus wahrgenommen und beachtet wird.“
Auf dem Parteitag der Kommunistischen Partei (KP) in Peking, der kürzlich zu Ende ging und über den im ganzen Land groß berichtet wurde, erhielt der 64-jährige Xi Jinping für weitere fünf Jahre die Bestätigung als KP-Chef. Seine Ernennung zum chinesischen Präsidenten durch das Parlament im nächsten Frühjahr ist reine Formsache. Bereits 2015 hatte Xi gewarnt, das Ausland könne versuchen, über die Religionen Einfluss in China zu nehmen. Die Kommunisten fürchten seit jeher die Infiltration ihres Landes von außen und sehen Religionen als mögliches Einfallstor.

Anleitung von oben

Im Frühjahr 2016 nahm der KP-Chef dann überraschenderweise an einer Arbeitskonferenz über religiö­se Angelegenheiten teil. Seine Anwesenheit brachte das Thema an die Spitze der KP-Agenda. Er forderte, dass China seine Religionen aktiv anleiten müsse, damit sich diese an die sozialistische Gesellschaft anpassen. Ob Menschenrechtler, Gewerkschafter, Anwälte, ethnische Minderheiten, das Internet oder eben die Religionsgemeinschaften – seit Xi Jinping 2012 die Macht in Partei und Staat übernommen hat, vollzieht sich geradezu eine Restauration.
Auf dem Parteitag hat sich Xi Jinping nun endgültig die Alleinherrschaft gesichert. Parteiinterne Gegner hat er in einer beispiellosen Kam­pagne gegen Korruption ausgeschaltet. Ehrfürchtig reden ihn Parteifunktionäre als „lingxiu“ an, als Führer – ein Titel, der bislang dem Gründer der Volksrepublik, Mao Zedong, vorbehalten war.
Xi kontrolliert das chinesische Volk mindestens so lückenlos und rigide wie Mao. Und die Sorge vor noch strengeren Restriktionen ist groß. Mit Blick auf die Annäherungsbemühungen zwischen Peking und dem Vatikan stellte Wang Zuoan, Direktor des staatlichen Religionsamtes, am Rande des Parteitages klar, dass es zwei Bedingungen gibt. Erstens: Rom bricht seine diplomatischen Beziehungen zu Taiwan ab. Der Vatikan ist eines von wenigen Ländern in der Welt, das Taiwan, das sich selbst Republik China nennt, als eigenständig anerkennt. Peking hingegen betrachtet die Insel als abtrünnige Provinz. Zweitens: Der Papst hält sich aus allen internen Angelegenheiten in China heraus.
Doch das genau ist der wunde Punkt: Wer darf künftig die Bischöfe in Chinas katholischer Kirche bestimmen? Papst Franziskus reklamiert dieses Recht auch in China für sich – die Kommunisten sehen das als Einmischung und haben Bischöfe immer wieder nach eigenem Gusto ordiniert.
China-Experten warnen gleichwohl vor Schwarz-Weiß-Malerei. „Die kommunistische Regierung ist sehr daran interessiert, dass sich Religionen am Aufbau einer Zivilgesellschaft beteiligen und sich sozial engagieren“, sagt Martin Lachmann, der bei einer der ersten christlichen Nicht-Regierungsorganisationen Chinas, der Amity Foundation, arbeitet. Amity setzt sich nicht nur für Bedürftige in China und Afrika ein, sondern ist auch der größte Bibel-Produzent der Welt.
Land der meisten Bibeln
Dass die meisten Bibeln ausgerechnet im offiziell ungläubigen China gedruckt werden, ist paradox, zeigt aber auch den für Chinesen typischen Pragmatismus. Lachmann weist außerdem auf den enormen Zulauf hin. „Die Religionen sind zwar stark reglementiert. Trotzdem bekennen sich immer mehr Menschen zum Glauben.“ Deshalb ist der Amity-Mitarbeiter guter Dinge, dass „das Christentum in China zurzeit bessere Entwicklungsperspektiven hat als jemals zuvor“.    

Stefanie Ball

10.11.2017 - Ausland