„Die Philosophen haben die Welt nur verschieden interpretiert, es kommt darauf an, sie zu verändern.“ Kaum jemand würde behaupten, dass Karl Marx dieses selbstgesteckte Ziel nicht erreicht hätte. Er wurde zu einem der einflussreichsten deutschen Denker. Seine Ideen sollten die Menschheitsgeschichte verändern – allerdings in den meisten Fällen keineswegs zum Guten. Dessen ungeachtet scheint Marx heute eine Renaissance zu erleben, gilt er doch vielen Kommentatoren als hellsichtiger Prophet der sozialen Fehlentwicklungen und Konflikte der heutigen Globalisierung. Andere sehen in ihm einen geistigen Brandstifter und Wegbereiter der totalitären Diktaturen von Lenin, Stalin, Mao oder Pol Pot.
Der große Dialektiker Marx steckte selbst voller Widersprüche: Er selbst wollte sich nicht als „Marxist“ bezeichnen, sondern nannte seine Theorie „Historischen Materialismus“. Er schrieb zwar das „Kapital“, konnte aber selbst nie mit Geld umgehen. Als er das Manuskript seines Hauptwerks zum Verleger schicken wollte, hatte er nicht einmal Geld für das Porto. Als Proletarier würde Marx dennoch kaum durchgehen: Wenn seine finanziellen Verhältnisse es einmal zuließen, pflegte er einen großbürgerlichen Lebensstil, beschäftigte eigene Dienstboten und war besonders stolz darauf, seine Standesgrenzen nach oben durchbrochen und eine Adelige geheiratet zu haben.
Sein stattliches Geburtshaus in der Trierer Brückenstraße, wo er am 5. Mai 1818 das Licht der Welt erblickte, zeugt ebenfalls nicht von Armut. Karl war das dritte von neun Kindern des liberalen Anwalts Heinrich (ursprünglich Herschel) Marx und seiner Gattin Henriette Pressburg, aus deren holländischer Familie später auch der Gründer des Philips-Konzerns hervorging. Sowohl Vater als auch Mutter stammten aus bedeutenden Rabbinerfamilien.
Die Familie konvertierte
Um den während der napoleonischen Ära aufgenommenen Advokatenberuf auch unter der preußischen Herrschaft weiterführen zu können, musste Herschel Marx vom Judentum zum Protestantismus konvertieren. Karl und seine Geschwister wurden im August 1824 getauft. Nach seinem Abitur in Trier zog Karl Marx 1835 in die Universitätsstadt Bonn und nahm auf Drängen seines Vaters ein Jurastudium auf. Der Student mit nur mäßigen Noten machte „wegen nächtlichen ruhestörenden Lärmens und Trunkenheit“ auch einmal Bekanntschaft mit einer Gefängniszelle.
1836 verlobte er sich heimlich mit der vier Jahre älteren Jenny von Westphalen aus preußischem Adel. Von Bonn wechselte Karl an die Berliner Humboldt-Universität, wo er manche Jura-Vorlesung schwänzte und sich stattdessen immer mehr mit Geschichte und Philosophie beschäftigte. 1831 war mit Hegel der bedeutendste Staatsphilosoph seiner Zeit gestorben. Seine Lehren spalteten weiterhin die Geister: Den „Rechtshegelianern“ lieferten sie die Staatsdoktrin für das aufgeklärt-fortschrittliche Preußen. Die radikalen Oppositionellen von den „Linkshegelianern“, denen sich Karl anschloss, rebellierten gegen Übervater Hegel und verwiesen auf die ungelösten Probleme wie Massenarmut, politische Repression und religiöse Intoleranz.
1841 promovierte Karl Marx an der liberaleren Uni Jena zum Doktor der Philosophie. Eine akademische Laufbahn wurde ihm jedoch durch den preußischen Staat verwehrt. Ab 1842 arbeitete er in Köln als Redakteur für die neugegründete liberale „Rheinische Zeitung“. Doch damals herrschte im Deutschen Bund rigorose Pressezensur. Die preußischen Beamten machten sich einen Spaß daraus, Marx’ Artikel mit roter Tinte zu überschütten und kaum einen seiner Sätze unangetastet zu lassen. Als sich sogar Zar Nikolaus I. über den frechen Journalisten beschwerte, wurde das Blatt verboten.
Mit Engels im Café
Im Oktober 1843 gingen Karl und Jenny – die beiden hatten kurz zuvor in Kreuznach geheiratet – nach Paris. Dort fand Marx Zugang zu sozialrevolutionären Zirkeln. Am 28. August 1844 kam er in einem Pariser Café ins Gespräch mit dem Fabrikantensohn Friedrich Engels – es war der Beginn einer lebenslangen Freundschaft. Erst durch Engels lernte der Schreibtischgelehrte Marx aus erster Hand die brutale Realität von Kinderarbeit, Hungerlöhnen und dem Elend der Arbeiterslums kennen. Engels’ Vater war einer jener „Ausbeuter“. Ihm gehörten Textilspinnereien in Manchester und Köln.
Auf Intervention der preußischen Regierung musste Marx Paris verlassen. 1845 übersiedelten er und Engels nach Brüssel. 1847 traten sie dem seit 1836 existierenden geheimen „Bund der Gerechten“ bei und drängten deren Gründer Wilhelm Weitling, einen Magdeburger Schneider, beiseite. Die von ihnen gekaperte Organisation benannten sie in „Bund der Kommunisten“ um.
Wie später noch mehrere Male gerierte sich Marx dabei als Diktator im Gewand eines radikalen Demokraten. Statt wie bisher im Untergrund zu wirken, sorgte der neue Bund der Kommunisten mit seinem Parteiprogramm für einen Paukenschlag: „Ein Gespenst geht um in Europa – das Gespenst des Kommunismus!“, verkündete das „Kommunistische Manifest“. Wobei die weltbekannte Parole „Proletarier aller Länder, vereinigt euch!“ weder von Marx noch von Engels erfunden wurde: Sie stammte ursprünglich von ihrem engen Mitarbeiter Karl Schapper.