Osterhauptstadt Bautzen

„Glaube ist das Entscheidende“

 

Es ist ein erhabenes Bild: 380 festlich gekleidete Männer mit schwarzem Frack, Zylinder und Handschuhen auf geschmückten Pferden. Sie reiten paarweise, einige tragen Kirchenfahnen. Ein Kreuz und eine Statue des auferstandenen Christus werden hochgehalten. Die ausschließlich männlichen Reiter beten und singen. Sie bringen die Botschaft der Auferstehung in eine Nachbargemeinde. 

Ostern in Bautzen heißt Ostern bei den Sorben. Für die Menschen der slawischen Minderheit, die rund um die Stadt mit dem sorbischen Namen Budyšin in der Oberlausitz und weiter nördlich in der Niederlausitz zu Hause sind, ist Ostern sozusagen das Fest der Feste. Uralte, regional unterschiedliche Bräuche sind hier lebendig geblieben, andere wurden erfolgreich wiederbelebt – wie das Osterreiten. Auf neun verschiedenen Routen in der Umgebung von Bautzen ziehen diese Prozessionen am Ostersonntag über Land. 

„Organisiert wird das Osterreiten von der katholischen Kirche“, erklärt Andreas Haidan, der selbst seit 30 Jahren an der Prozession teilnimmt. „Nach der Wende lebte der Brauch schnell wieder auf. Zu DDR-Zeiten war die Ausübung stark eingeschränkt. Es wurde nur vereinzelt in den Dörfern geritten“, sagt der Bautzener. „Außerdem herrschte aufgrund der landwirtschaftlichen Konzentration in LPGs Pferdemangel.“ 

Den gibt es bis heute. Deshalb leihen sich viele Osterreiter ihre Pferde, meist aus dem benachbarten Polen, und müssen diese dann tagelang einreiten. Die Traditionspflege ist nicht nur aufwändig, sondern auch teuer. 

„Der Glaube ist das Entscheidende“, sagt Rüdiger Hose, der mit Haidan ein Reiterpaar bildet. Ohne ihn wäre die Prozession längst Geschichte. Hoses Frau Susanne, die als Wissenschaftliche Mitarbeiterin am Sorbischen Institut in Bautzen tätig ist, fügt hinzu: „Die Osterritte finden auch ohne Touristen statt.“ Die Tradition lebt in den Familien. Andreas Haidans jüngster Sohn reitet in diesem Jahr erstmalig mit. Er ist 16. „Eine gute Kondition braucht man schon“, räumt Haidan ein.

Bei Wind und Wetter

Die Ritte, die zum Nachbarort und zurück führen, dauern mehrere Stunden und finden bei Wind und Wetter statt. „Das stört uns nicht“, äußert Rüdiger Hose, für den im Gegensatz zu Partner Haidan Reiten eine Ausnahme darstellt. „Regenkleidung lehnen wir ab“, sagt er stolz. 

Am frühen Morgen des Ostersonntags reiten die beiden vom Hof der Haidans Richtung Liebfrauenkirche in Bautzen. Ihre Pferde sind für den großen Auftritt herausgeputzt. Bunt bestickte Schleifen schmücken den Schweif, die Mähne ist akkurat zu Zöpfen geflochten und Muschelschmuck verziert das Geschirr. Susanne Hose erklärt, dass dies in früheren Zeiten der Repräsentation diente. „Man zeigte durch teures Dekor, wer man ist.“ Nicht selten sieht man Satteldecken mit dem Lamm-Gottes-Motiv. 

Wenn alle Reiter vor der Kirche versammelt sind, beginnt die Prozession mit einem dreimaligen Umrunden des Gotteshauses. Danach zieht der Tross über die Friedensbrücke aus der Stadt. Für das Panorama der Altstadt am Ufer der Spree, für die Kirch-, Schloss- und Wehrtürme, haben die Reiter jetzt keinen Blick. Auf ein Zeichen wird ein Gebet oder ein Lied angestimmt – in sorbischer Sprache. Deutschsprachigen Osterreitern wird vor dem Ritt Nachhilfe in Sorbisch erteilt. Knapp zwei Stunden später werden alle im benachbarten Radibor erwartet. 

Die mit 190 Reiterpaaren größte Prozession, die von Ralbitz nach Wittichenau und zurück führt, ist auch die längste und die einzige zweisprachige. Fast sechs Stunden brauchen die Reiter. Nach einer Verschnaufpause in Ralbitz wird auch die dortige Kirche dreimal sowie der Friedhof einmal umritten, bevor es auf den Rückweg geht. Die Begräbnisstätte ist durch ihre auffallende Schlichtheit geprägt. Auf allen identisch kleinen Gräbern steht das gleiche weiße Holzkreuz – Zeichen dafür, dass vor Gott alle Menschen gleich sind. 

Osterritte sind bereits vor der Reformation belegt. Ob sie auf heidnische Vorläufer zurückgehen, kann nur spekuliert werden. Da die Reformation den Brauch untersagte, blieb das Osterreiten bei den evangelischen Sorben die Ausnahme. Dort wurde die Osterbotschaft durch Frauen verkündet, die singend durch die Straßen liefen. In einigen Dörfern der Niederlausitz ist diese Tradition noch lebendig. 

„Evangelische Osterreiter sind bei unseren Prozessionen aber immer mit dabei“, weiß Andrea Paulick vom Sorbischen Museum in Bautzen. „Die Osterritte erleben einen regelrechten Boom.“ In dem Museum im Hof der Ortenburg kann man sich nicht nur über Geschichte und Kultur der Sorben informieren. Zur Osterzeit ist hier auch eines der Zentren des Eierverzierens – ebenfalls ein uralter sorbischer Brauch. 

Eine Frage der Geometrie

Hubert Bartsch, der in der Schauwerkstatt an einem Tisch voller zerbrechlicher ovaler Kunstwerke sitzt, erklärt, Talent sei nicht nötig. „Das meiste ist eine Frage der Geometrie“, meint der Eier-­Künstler. „Man muss das Motiv nur genau planen – und abrutschen darf man natürlich auch nicht.“ Bartsch spielt auf die Kratztechnik an, bei der kleinteilige Muster in das gefärbte Ei geritzt werden. „Ein sehr diffiziles Verfahren.“ 

„Früher bekamen die Kinder zu Ostern verzierte Eier geschenkt“, berichtet Andrea Paulick, „und zwar von ihren Paten.“ Sorbische Ostereier erkennt man an symbolischen Motiven wie Lebensbaum, Sonnenrad oder Wolfszähnen, die vor dem Bösen beschützen sollen. Auch beim Spaziergang durch die Straßen der über 1000 Jahre alten Stadt mit ihren vielen prächtigen, historischen Fassaden begegnet man überall Ostereiern. Auf dem Hauptmarkt schmücken sie zu Hunderten Bäume und Brunnen. 

Am Nachmittag des Karsamstags weist das machtvolle Glockengeläut des Petri-Doms auf einen weiteren Osterbrauch hin. Die Simultankirche wird von Katholiken und Protestanten seit fast 500 Jahren gemeinsam genutzt. Folgt man den Menschen von der Ortenburg hi­nab zur Spreebrücke, hört man schon bald den Bläserklang. Auf dem Protschenberg kann man dem traditionellen Osterblasen beiwohnen. Über 100 Posaunenbläser stimmen Choräle und Frühlingslieder an. 

In der Nacht sind häufig entfernte Böllerschüsse zu vernehmen. Auch das Osterschießen wird im Oberlausitzer Bergland, unweit von Bautzen, noch hier und da gepflegt. Am anderen Morgen zeigt sich: Die Osterschützen haben ganze Arbeit geleistet haben. Von bösen Geistern ist nichts zu sehen. Stattdessen bietet der Ostermarkt auf dem Protschenberg regionales Kunsthandwerk. Das Sorbische Ensemble zeigt folkloristische Darbietungen, während sich die Kinder über das historische „Eierschieben“ freuen – wenn auch heute ohne echte Eier. 

Am Abend kehren die Osterreiter von ihrem beschwerlichen Weg in die Altstadt zurück, umreiten dreimal den Dom und wünschen ihrem Publikum „Frohe Ostern“. Spätestens dann wird man zugestehen dürfen, dass Bautzen seinen inoffiziellen Titel, den einer Osterhauptstadt, zu Recht trägt.

Ulrich Traub