Welt-Down-Syndrom-Tag am 21. März

"Gott gibt jedem eine Chance"

Dass der Südtiroler Julian Peter Messner das Down-Syndrom hat, sieht man ihm an. Trotz der Chromosomen-Anomalie besticht er durch seine positive Lebenseinstellung und die Fähigkeit, mit Worten zu jonglieren. Er schreibt Bücher, die seine Sinneseindrücke emotional unterstreichen. Im Interview aus Anlass des Welt-Down-Syndrom-Tags spricht er über Einschränkungen, gesellschaftliche Integration und seinen Glauben an Gott.

Herr Messner, können Sie sich bitte ein bisschen vorstellen?

Ich bin Julian Peter Messner. Ich habe Trisomie 21 oder das Down-Syndrom. Nach der Pflichtschule habe ich einen Grundlehrgang und ein Biennium für Gastronomie an der Berufsschule absolviert. Da ich keinen passenden Praktikumsplatz für den Bereich gefunden habe, habe ich mich im integrierten Kunstatelier um Aufnahme beworben. Das war genau der Tätigkeitsbereich, der zu mir passt. 

Leider ging der Trägerverein nach wenigen Jahren pleite. Ich bin so dankbar, dass Lebenshilfe „Onlus“ unsere Gruppe übernommen hat und als Kunstwerkstatt „Akzent“ weiterführt. Mit neun weiteren Menschen mit Beeinträchtigung arbeite ich dort von Montag bis Freitagmittag. Die Haupttätigkeit ist Malen und Zeichnen. Projektbezogen machen wir Theater, Musik oder auch Fotografie und ab und zu wird geschrieben.

Ich wohne gemeinsam mit meiner Mutter in einem kleinen Dorf im Pustertal und fahre mit den öffentlichen Verkehrsmitteln nach Bruneck zur Arbeit. In meinem Dorf bin ich gut integriert und spiele auch bei der Volksbühne Theater. 2017 haben meine Frau Annemarie und ich unsere Liebe unter den Segen Gottes gestellt. Wir wohnen aber nicht zusammen. Jeder von uns lebt bei seiner Familie, wir sehen uns aber bei der Arbeit, fahren gemeinsam mit der Lebenshilfe in Urlaub und unternehmen auch sonst einiges zusammen.

Was bedeutet das Down-Syndrom für Sie?

Durch das Down-Syndrom bin ich auf Unterstützung angewiesen, in der Schule hatte ich eine Integrationslehrperson, jetzt habe ich einen Sachwalter, der mir bei Geldangelegenheiten und Behördengängen hilft. Ich kann nicht Autofahren oder völlig autonom leben.

Was würden Sie sich von anderen wünschen?

In erster Linie wünsche ich mir, dass jeder mich so akzeptiert, wie ich bin, und jeder jedem mit Respekt begegnet.

Gibt es etwas, das Sie Mitmenschen mitteilen wollen, die Hemmungen haben, auf Menschen wie Sie zuzugehen?

Wenn wir auch anders sind, so beißen wir doch nicht. Behinderung ist nicht ansteckend, es ist keine Krankheit, und wir haben uns nicht ausgesucht, so zu sein. Wir wollen einfach angenommen werden und freuen uns über jedes Lächeln und jedes echte Interesse. Darum geht auf uns zu, sprecht uns an, und wenn wir mal abweisend sind, heißt das nur, dass wir grad nicht gut drauf sind.

„Das Down-Syndrom wird niemals das Problem sein, sondern die Gesellschaft“ – können Sie diesem Satz etwas Positives abgewinnen? 

Was heißt „die Gesellschaft“? Ich weiß: Wer uns kennt, hat kein Problem mit uns. Darum ist es wichtig, dass wir von Anfang an mitten unter den Menschen leben und im Kindergarten, in der Schule und soweit möglich auch in der Arbeitswelt inkludiert werden.

Was sind Ihre Stärken, was Ihre Schwächen?

Ich kann mich sprachlich gut verständigen, gehe auf andere zu, kann auf der Bühne als Bandleader die Menschen mitreißen. Meine größte Schwäche ist: Ich kann nicht gut rechnen und mit Größen umgehen, und ich habe einen echten Sturschädel, der mir oft im Wege steht.

Wann haben Sie die Gabe, Bücher schreiben zu können und somit ein Sprachrohr zu sein, für sich entdeckt?

Frau Kehrer, die künstlerische Leitung im Kunstatelier, hat gerne mit mir sprachlich gearbeitet und dann die Gedichte bei Literaturwettbewerben eingereicht. Meine Texte sind gut angekommen und auch prämiert worden. Das hat mich sehr motiviert. Irgendwann waren so viele Gedichte da, dass sie für ein Buch gereicht haben. Frau Kehrer ist in der Zwischenzeit in Pension gegangen, so ist nun meine Mutter meine Sekretärin. Mit ihr arbeite ich nun an einem Buch mit kurzen Geschichten aus meinem Leben.

Was möchten Sie mit Ihren Werken vermitteln? Welche Emotionen sollen im Leser wachgerüttelt werden?

Es geht mir nicht darum, Leser wachzurütteln oder zu belehren. Ich schreibe über die Natur, über Stimmungen, Liebe und Freundschaft, zu besonderen Anlässen und auch über Verschiedenes, was mich bewegt, und zeige damit den Menschen meine Welt.

Wann sind Sie ein rundum glücklicher Mensch?

Eigentlich braucht es nicht viel, um mich glücklich zu machen. Ich kann mich über vieles freuen. Glücklich bin ich, wenn ich mit meiner Band „Miteinanders“ auf der Bühne stehe und die Zuhörer uns lauthals applaudieren. Da weiß ich: Sie freuen sich mit uns. Leider können wir wegen der Pandemie schon länger weder proben noch auftreten. 

Glücklich machen mich gemeinsame Feiern in der Großfamilie. Da geht es immer lustig zu. Da fühle ich mich geborgen und geliebt. Ich bin auch glücklich darüber, in der Kunstwerkstatt gemeinsam mit meiner Frau arbeiten zu dürfen – und natürlich, wenn ein Bild besonders gut gelingt.

Sind Sie ein realistischer Träumer oder ein verträumter Realist?

Weder noch. Ich habe gar keine Zeit zum Träumen, mein Tag ist völlig ausgefüllt. Wenn ich nicht bei der Arbeit bin, lese ich Zeitungen und recherchiere bei Mister ­Google heimatkundliche Themen sowie über Kirchen und ihre Patrone, über Pflanzen und Tiere. In der übrigen Zeit schreibe ich Stichworte, das ist meine Lieblingsfreizeitbeschäftigung.

Über was können Sie sich richtig ärgern?

Öfters habe ich gelesen, dass im Mutterleib getestet werden kann, ob ein Kind Trisomie hat, und wenn es so ist, es abgetrieben werden kann. Das ist unmenschlich und grausam. Mich ärgert auch, wenn jemand ungerecht behandelt oder ausgelacht wird. Ich mag es gar nicht, wenn meine Privatsphäre nicht beachtet wird.

Glauben Sie an Gott? 

Ja, ich glaube an einen Schöpfergott, und stelle ihn mir sehr mächtig vor, aber auch wie einen liebenden Vater. Er nimmt jeden so wie er ist. Ganz sicher hat er kein Notizbuch, wo er alle Fehler und Schandtaten aufschreibt. Er gibt jedem eine zweite Chance. Ich spreche oft mit Gott, und wenn ich traurig oder krank bin, schicke ich ein Stoßgebet zu meinem himmlischen Vater. Das kann ich überall machen, dazu muss ich nicht in die Kirche gehen.

Für welche zwischenmenschlichen Werte lohnt es sich immer, aufzustehen und zu kämpfen?

Für Gerechtigkeit, gegenseitigen Respekt und die Einhaltung der Menschenrechte.

Gibt es etwas, das Ihnen Angst macht?

Da gibt es gar einiges. Im Gedicht „die angst“ habe ich beschrieben, wie sich Angst anfühlt und wovor ich Angst habe.

„Die angst / sie kriecht aus ritzen und löchern / schleicht sich an / oder überfällt mich plötzlich / fährt mir durch den körper / schneidet scharfe kanten hinein  / und sticht nägel in mein fleisch / springt in meinen nacken / krallt sich dort fest / lässt mein blut gefrieren / und macht mich hilflos.

Die angst / angst vorm sterben / angst vorm krampus / angst vor blamage / angst vorm versagen / angst nicht zu genügen / angst vor gewalt / angst vor katastrophen / angst vor schmerzen / angst vor verlust / angst verlassen zu werden / angst ist schrecklich / meist verschwindet sie / wenn mamas arme mich umfangen.“

Sehen Sie sich als Vorbild und Hoffnungsträger für Menschen mit Down-Syndrom?

Ich habe mich noch nie als Vorbild gefühlt. Jeder Mensch soll sich seine Vorbilder wählen und das machen, was ihm Freude bereitet. Vorbild sein bedeutet: Verantwortung tragen, und das ist anstrengend.

Haben Sie ein Lebensmotto?

Da schließe ich mich dem „Kleinen Prinz“ an: „Man sieht nur mit dem Herzen gut …“

Interview: Andreas Raffeiner

21.03.2022 - Abtreibung , Deutschland , Inklusion