Aus Amerika um die Welt

Guter Schokolade auf der Spur

Kaum eine Jahreszeit ist so schokoladig wie der Advent mit all seinen Schoko-Nikoläusen und dem Christbaumschmuck aus der süßen braunen Masse. „Schokolade macht glücklich“ ist eine bekannte Aussage. Sie gilt als Kraftspenderin und Nervennahrung. Einbildung ist das keineswegs – doch es kommt auf die Qualität an. Für viele Menschen muss es Schweizer Schokolade sein. Eine Spurensuche.

Deutschland und die Schweiz verbindet die Vorliebe für Schokolade. Die Deutschen essen durchschnittlich neun Kilo pro Kopf und Jahr. Die Schweizer brachten es 2021 sogar auf mehr als elf Kilo. Ob Schokolade gut oder weniger gut für die Gesundheit ist, hängt von der Kakaomenge ab. Je mehr Kakao und weniger Zucker, desto gesünder ist sie. 

Interesse findet es neuerdings auch, heißen naturbelassenen und ungezuckerten Kakao zu trinken – wie einst die Azteken. Nach bisherigen Darstellungen sollen sie in Mexiko die ersten gewesen sein, die aus zerkleinerten Kakaobohnen und Wasser einen Trank herstellten und als Speise der Götter bezeichneten. Vom 14. bis zum frühen 16. Jahrhundert muss das gewesen sein. „Xocolatl“ könnte der Trank geheißen haben.

Gemäß einer Legende soll Quetzalcoatl, der Gott des Windes, den Azteken die Kakaopflanze gebracht haben. Der daraus später kreierte bittere Trank galt als Stärkungs- und Heilmittel und prägte die religiösen Feste. Darüber hinaus dienten die Kakaobohnen als Zahlungsmittel. Ein Hase kostete zehn Kakaobohnen, ein Sklave 100. Das deutsche Wort Schokolade leitet sich von dem historischen aztekischen Ausdruck ab.

Die Nutzung von Kakao indes reicht viel weiter zurück. Schon die Olmeken in Mittelamerika sollen den ursprünglichen bitteren Kakao getrunken haben: 1500 vor Christus nämlich. Die neuesten Entdeckungen lieferte 2018 eine Forschergruppe der Universität Calgary in Kanada. Sie fand an der archäologischen Stätte Santa Ana/La Florida im Süden von Ecuador 5300 Jahre alte Rückstände von Kakaobohnen. 

Nach Europa gelangte die Bohne nach der Eroberung Mexikos durch die Spanier unter Hernán Cortés. Ab 1519 besiegte er in einem zweijährigen Feldzug die Azteken. Bei seiner Rückkehr nach Spanien nahm Cortés auch Kakaobohnen mit an Bord. Der daraus gefertigte Trunk war seinen Landsleuten zu bitter. Erst als sie Zucker hinzufügten, wurde er ein begehrtes Getränk. Weil Zucker teuer war, konnten sich das aber nur Könige, der Adel und Reiche leisten. 

In der Fastenzeit erlaubt?

Die Kirche, die ihren Gläubigen das Kakaotrinken wegen der angeblich aphrodisierenden Wirkung zunächst verboten hatte, lenkte bald ein. Stattdessen musste sie sich mit der Frage befassen, ob dieser Trank auch in der Fastenzeit erlaubt sei. Die Jesuiten meinten ja, die Dominikaner sagten nein und bezeichneten das Getränk als Mahlzeit. Vier Päpste nacheinander mussten sich mit der Frage befassen. Das Ergebnis: Kakao ist ein Getränk und daher auch in der Fastenzeit erlaubt. 

Königin Marie Antoinette von Frankreich bestellte sich übrigens einen heißen Kakao, bevor sie am 16. Oktober 1793 durch die Guillo­tine enthauptet wurde. Heute geht es beim Kakao selten um Leben und Tod. Aber doch immerhin um den Lebensunterhalt: den der Bauern nämlich, die die Bohnen in Mittel- und Südamerika, in Afrika oder Südostasien anbauen. Wie kann man sie unterstützen und fair bezahlen?

Die kleinen Schokoladen-Manufakturen in der Schweiz legen auf Fairness zumeist besonderen Wert, weil auch ihre Kunden darauf achten. Gute Qualität und Genuss mit gutem Gewissen verbunden – das ist nicht zum Billigpreis zu haben. Die Farmer pflegen die Kakaobäume und erledigen die Ernte. Danach werden die Kakaofrüchte sofort geöffnet, die Bohnen von Hand entnommen und fermentiert. 

Bei diesem Gärprozess färben sie sich braun bis rotbraun. Die Bohnen trocknen dann ein bis zwei Wochen in der Sonne und entwickeln so ihr typisches Aroma. In Jutesäcken werden sie schließlich in die Abnehmerländer verschifft. Zu den größten Lieferanten gehören die Elfenbeinküste und Ghana in Westafrika.

Solche Säcke stehen auch in der kleinen Manufaktur Taucherli in Adliswil nahe Zürich. Ganz aus der Nähe lässt sich dort der Produk­tionsprozess beobachten. Geschäftsführer Kay Keusen in Jeans und Karohemd hat wie die anderen Mitarbeiter eine Schutzhaube auf dem Kopf. Selbst beim Gang in sein Büro. Kein Haar darf in die Schokoladenmasse fallen. 

Alles entsteht vor Ort

Vor sieben Jahren hat der jetzt 44-Jährige sein Unternehmen „Premium Swiss Chocolate“ gegründet. „Bean-to-Bar“ lautet sein Produk­tionsmotto: von der Bohne zur Tafel. Alles entsteht vor Ort. Zuvor war Keusen in der Unternehmensberatung tätig, wo er viel Geld verdiente. „Das ist jetzt nicht der Fall“, sagt er lachend. 

Dass das Schokogeschäft keine großen Gewinne abwirft, war ihm von Anfang an klar. „Die kleinen Produzenten haben kein einfaches Leben, aber es macht Spaß“, betont Keusen mit strahlenden Augen. Anfangs hat er sogar im Keller geschlafen, um Geld zu sparen, vermutlich um die nötigen Maschinen kaufen zu können. Nun lebt er als vergnügter Single in einer Mietwohnung und ist ohnehin viel unterwegs.

„Ich kenne die Länder und die Farmer, bei denen ich die Kakaobohnen kaufe“, sagt Keusen. Sie befinden sich „in Kolumbien, Nicaragua, Mexiko, Bali, Westpapua, Kamerun, Vietnam, Thailand und Ghana“, zählt er auf. Keusen spricht  Englisch, Französisch und Italienisch, auch Thailändisch und sogar Suaheli. Er kann also auch mit seinen 13 Patenkindern in Kenia plaudern. 

Keusens Schokoladentafeln ziert ein lustiges Vögelchen: ein Taucherli. So heißt auch seine kleine Schokoladenfabrik, die er 2015 übernommen hat. Genau wie der entengroße Vogel, der auf Hochdeutsch Blässhuhn heißt, ist er ins kalte Wasser eingetaucht und wieder heil herausgekommen. Seine Manufaktur schreibt bereits schwarze Zahlen. 

Doppelt so viel wie Fairtrade-Preise

Die persönliche Werte-Einstellung ist ihm das Wichtigste im Leben und macht ihn glücklich: Nicht nur ihm, auch den kleinen Farmern in der Ferne soll es gut gehen. „Wir zahlen mindestens das Doppelte verglichen mit den Fairtrade-Preisen und bis fünfmal mehr für besondere Qualitäten“, sagt er. Seine fünf Mitarbeiter – darunter zwei Tibeter – und die drei Praktikanten arbeiten voll konzen­triert. 

Vier Schokoladen-Sorten produziert Taucherli, auch eine vegane. „Grow“ heißt sie. Ihre Verpackung fällt auf. „Farben, frech und froh“ ist generell ein Prinzip des Unternehmens. Auf der hellblauen Weinachtsschoggi ist das Zürcher Großmünster zu sehen. Die „Petazeta Crazy Mixes“ knistert im Mund, da sie in Zucker eingeschlossene Kohlensäure enthält. Die kleinen Manufakturen müssen kreativ sein.

Gesünder als Vollmilch

Auch Schokolade mit hohem Kakaoanteil produziert Keusen. Die ist gesünder als Vollmilch- oder weiße Schokolade, die statt Kakaopulver fette Kakaobutter und viel Zucker enthält. Für sein Spitzenprodukt „Fine Flavour“ verwendet der Adliswiler Chocolatier den teuersten Kakao. Die 100-Gramm-Tafeln kosten bis zu 10 Franken (etwa 10 Euro). In der Schweiz sind das noch moderate Preise. 

Praktikant Nils führt durch die Produktion. Der schlanke junge Mann hält eine große Kakaofrucht in beiden Händen und schiebt ein Gestell mit frisch gerösteten Kakaobohnen weg vom Ofen. In der Conchiermaschine kreist derweil die Kakaomasse. Diese Maschine, erfunden im Dezember 1879 durch den Schweizer Schokoladenhersteller Rudolf Lindt, wurde der Schlüssel zum Erfolg. Sie verwandelte die damals brüchig-sandige Schokolade in ein cremiges, zartschmelzendes Produkt, das auf der Zunge zergeht. 

Und Niels? Der mag am liebsten die Schokolade, die mit Kakaobohnen aus Bali gemacht wird. „Die besitzen ein Honig-Aroma“, schwärmt er und zeigt auf einen Sack hinten im Lager.

Ursula Wiegand

08.12.2022 - Ausland , Ernährung