Abschied vom Halleluja
Bei der Suche nach den Ursprüngen des Helaurufes könnte ein Blick in die Kirchengeschichte helfen. Vielleicht handelt es sich dabei nur um die Verballhornung einer anderen Lobpreisung, nämlich des kirchlichen Halleluja. Fast zwei Dutzend Mal findet sich das hebräische Wort „Halalū-jāh – preiset den Herrn“ in den Psalmen des Alten Testaments und einige Male taucht es auch im Neuen Testament auf. Genauer: in der Offenbarung des Johannes, dem letzten Buch des Neuen Testaments, das dem Untergang Babylons gewidmet ist. Jener Stadt, die nach der mittelalterlichen Narrenidee das Reich der Narren verkörperte.
Anfangs wurde das Halleluja – der Kölner Erzbischof Kardinal Joachim Meisner nannte diesen Lobgesang gern die „Erkennungsmelodie des Christen“ – nur zu Ostern gesungen, ehe es das ganze Jahr über die Liturgie bereicherte. Spätestens zu karolingischen Zeiten aber entfernte man das Halleluja aus den Gottesdiensten der Fastenzeit. Zu der gehörte damals auch eine Vorfastenzeit, die der am Aschermittwoch beginnenden fleischlosen Fastenzeit vorgeschaltet war.
Diese Vorfastenzeit sollte den Übergang von der festlichen Weihnachtszeit, die früher bis Mariä Lichtmess währte, in die von Buße und Einkehr bestimmte fleischlose Fastenzeit erleichtern. Sie begann am neunten Sonntag vor Ostern, den die Kirche Septuagesima (von lateinisch „septuagesimus = 70. Tag vor dem Ende der Osterwoche) nannte. In der katholischen Kirche bestand sie offiziell bis zum Zweiten Vatikanischen Konzil, seitdem nur noch in Form außerordentlicher Riten. In der evangelischen Kirche, wo sie Vorpassionszeit heißt, wurde sie – weil sich Weihnachtszeit und Vorfastenzeit wegen des variablen Ostertermins manchmal überschneiden konnten – erst vor kurzem neu geregelt.
Der erwähnte Abschied vom Halleluja wurde im Lauf der Zeit feierlich ausgestaltet. Weil man sich aber über den Zeitpunkt, wann der Lobgesang zu verstummen habe, nicht einigen konnte, legte ihn Papst Alexander II. (1061 bis 1073) verbindlich für die erste Vesper am Vorabend des Sonntags Septuagesima fest. „Wir verabschieden uns vom Halleluja wie von einem lieben Freund, den wir vielmals umarmen und auf Mund, Kopf und Hände küssen, bevor wir uns von ihm trennen“, schrieb ein Bischof im 13. Jahrhundert.
Obwohl Papst Alexander II. die Gläubigen gebeten hatte, den Abschied vom Halleluja-Gesang nicht eigens zu markieren, entwickelten einige Gemeinden vor allem in Frankreich besondere Abschiedszeremonien. Im Stundengebet von Auxerre etwa wurde jedem folgenden Halbvers des Psalms 148 („Halleluja! Lobt den Herrn vom Himmel her, lobt ihn in den Höhen“) ein Halleluja mehr angehängt, so dass allein dem letzten Vers 28 Halleluja folgten.
Richtig theatralisch verabschiedete man das Halleluja im 15. Jahrhundert in Toul. Dort organisierten die Chorknaben eine Prozession, in deren Rahmen sie einen Sarg mit dem symbolisch gestorbenen Halleluja singend zu Grabe trugen und ihn mit Weihwasser besprengten. In Chartres peitschten die Kinder nach dem letzten Abschiedsruf auf das Halleluja zwölf Kreisel aus dem Chor der Kirche auf den Vorplatz und vertrieben so symbolisch den Lobgesang aus der Kirche, der erst mit der Osternacht zurückkehren sollte. In Paris trug man eine mit „Alleluia“ beschriftete Strohfigur aus dem Chor der Kirche auf den angrenzenden Friedhof, wo sie anschließend unter letzten Halleluja-Rufen verbrannt wurde.
Wer genau lebe hoch?
Bis in die Frühe Neuzeit gab es diese Abschiedszeremonien zu Beginn der Vorfastenzeit, die vielleicht auch ersten närrischen Rufen Pate gestanden haben könnten. Ideengeschichtlich hätten sie Sinn ergeben, war der Narr im Mittelalter als Leugner Gottes doch immer auch blasphemisch. Warum also sollte er sein eigenes Fest und seine Repräsentanten nicht auch mit ähnlichen Lauten hochleben lassen wie jene, die einst Gott verherrlichten? Helau wäre so betrachtet das Halleluja auf den Antichristen, verkehrte Welt in Extragröße XXL.
Beweise dafür fehlen. Mutmaßungen gibt es aber, ebenso alte Bräuche, die in diese Richtung deuten: zum Beispiel im Eifelstädtchen Blankenheim, wo seit vielen hundert Jahren Fastnacht gefeiert wird. „Juh-Ja, Juh-Ja, Kribbeln in d’r Botz! Wer dat net hät, dä es nix notz“, heißt es dort heute noch beim Geisterzug am Vorabend des Karnevalsonntags.
Auch das früher im Rheinland weit verbreitete Fastnachtslied mit der Eingangszeile „Ajuja, Ajuja, jetz geiht et widder ,Ajuja, jetz geiht et loss“, nährt den Verdacht, dass unser heutiges Helau aus dem Halleluja verballhornt sein könnte – ganz ähnlich vielleicht wie das lateinunkundige Kirchenvolk die einst im Gottesdienst mit den Worten „Hoc est enim corpus meum – Das ist mein Leib“ gefeierte Wandlung des Brotes in den Leib Christi als „Hokuspokus“ abtat.