ALBI – Eine der größten Backsteinkirchen der Welt prägt das Stadtbild von Albi in der Region Okzitanien. Ihrem berühmtesten Sohn verdankt sie eine einzigartige Gemäldesammlung. Außerdem hat die südfranzösische Stadt eine der eindrucksvollsten Darstellungen des Jüngsten Gerichts und die höchstwahrscheinlich älteste Landkarte der Welt zu bieten.
Mit weißen Handschuhen schlägt Jocelyne Deschaux eine der wertvollsten Handschriften der Welt auf, die Mappa Mundi d’Albi. Sie blättert in 156 frühmittelalterlichen Seiten, die sie jeden Dienstagmittag in der der Mediathek Pierre-Amalric zeigt, deren Chefin sie ist. „Bis ins 19. Jahrhundert“, verrät sie dort interessierten Besuchern, „hat man nur auf die Texte, nicht aber auf die Karte geschaut.“ Die gehört heute zum Weltdokumentenerbe der Unesco und entstand in der zweiten Hälfte des achten Jahrhunderts vermutlich in einer großen bischöflichen Schreibwerkstatt. Dort trug man das damalige Wissen um Geschichte und Geografie in einem Buch zusammen.
Das einzige Exemplar
Heute hält man die Mappa Mundi in Albi für wertvoller als die Gutenbergbibel, weil sie handgemalt und nicht gleich in mehreren Exemplaren gedruckt ist. Sie zeigt, wie man sich die Welt im frühen Mittelalter vorstellte: mit drei Erdteilen und viel Meer. 51 Stellen sind eigens markiert – die Inseln Kreta, Zypern, Sizilien, Korsika und Sardinien zum Beispiel oder Flüsse wie Nil, Ganges, Rhein, Rhone und Tigris. Der Sinai ist der einzige Berg auf der Karte, Rom, Jerusalem, Athen, Alexandria, Ravenna und Karthago sind die wichtigsten Städte.
Hätte man die Mappa Mundi ein halbes Jahrtausend später gemalt, hätte auch das von den Römern gegründete Albi sicher einen Platz auf der Weltkarte gefunden. An den Ufern des Flusses Tarn nämlich war dort im zwölften Jahrhundert zwischen den Katharer-Metropolen Toulouse und Carcassonne eine weitere Hochburg der Armutsbewegung entstanden, so dass die Albigenser vielerorts mit den Katharern gleichgesetzt wurden.
Die Katharer kannten nur ein Gebet, das Vaterunser, lehnten das Alte Testament ab und glaubten fest, dass Gott dem Menschen nur ein geistiges Gerüst geliefert habe, um die Welt zu gestalten. In ihren Augen war der Mensch so betrachtet gut, die Welt aber böse. Zu ihren Überzeugungen gehörten der Verzicht auf Sex und fleischlose Kost. Sie waren überzeugt, dass Adam und Eva ohne Sexualität gelebt hätten. Außerdem seien sie erst vom Teufel dazu verführt worden, Fleisch zu essen.
Die katholische Kirche stufte die Katharer, wo Männer und Frauen gleichberechtigt als Priester Dienst taten, als gefährliche Sekte ein. Anfang des 13. Jahrhunderts organisierte sie deshalb einen Kreuzzug, an dem Krieger aus Deutschland, Österreich und Frankreich teilnahmen. Zehntausende Katharer wurden niedergemetzelt – auch weil es ihr Glaube verwehrte, Menschen zu töten.
200 Jahre Bauzeit
Sichtbares Zeichen für den Sieg der Katholiken in Albi war der Bau der großen Kathedrale hoch über den Ufern des Tarn, einer einschiffige Wehrkirche mit bis zu sechs Meter dicken Mauern. Es ist ein gotisches Gesamtkunstwerk aus Backstein mit einem knapp 80 Meter hohen Glockenturm. Geweiht ist die Kirche der heiligen Cäcilia von Rom, einer Märtyrerin, deren Reliquien heute noch in einer der mehr als 30 Seitenkapellen ruhen. Rund 200 Jahre dauerte es, bis der gewaltige Bau, das heutige Wahrzeichen der Stadt, vollendet war. Das Bischofsviertel Albis zählt heute zum Unesco-Weltkulturerbe.
Gleicht die Kathedrale von außen einer uneinnehmbaren Festung, packt den Besucher im Inneren die Güte und Vielfalt der Bilder und Statuen. Unermesslich ist der Reichtum an Fresken, fast jeder Zentimeter vom Boden bis zur Decke detailreich ausgemalt. Jahrzehntelang pinselten Maler aus Bologna und Modena im Schein von Öllampen Tiere, Heilige, Pflanzen, Köpfe und Sprüche an die Wände, Szenen aus dem Alten und Neuen Testament. Anfang des 16. Jahrhunderts entstand so das größte Werk italienischer Renaissance in Frankreich.