Kommentar:

Abhängigkeit von Tafel ist Armutszeugnis für Deutschland

Es klingt paradox: Bis zu 18 Millionen Tonnen Lebensmittel landen in Deutschland jedes Jahr im Müll, gleichzeitig sind etwa zwölf Millionen Menschen von Armut bedroht. Hier einen Ausgleich zu schaffen, ist das Ziel der Tafeln. Sie sammeln „überschüssige“ Lebensmittel ein und verteilen diese an sozial und wirtschaftlich benachteiligte Menschen. Diese Idee hat sich seit Gründung der ersten Tafel in Deutschland 1993 zum Erfolgsmodell entwickelt. Heute gibt es in der Bundes­republik 962 Tafeln, die etwa 1,65 Millionen Menschen mit Lebensmitteln unterstützen. 

Was nach einer optimalen Lösung gleich zweier Probleme klingt, hat aber einen kleinen Schönheitsfehler: Die Tafeln bekämpfen nur das Symptom, nicht die Ursache. Dass in Deutschland so viele Menschen dringend auf die Hilfe der Tafeln angewiesen sind, ist ein Armutszeugnis für eines der reichsten Länder der Welt! 

Mit Corona und dem Ukraine-Krieg hat sich die soziale Ungleichheit noch einmal massiv verschärft. Die Tafeln können dem Ansturm an Bedürftigen vielerorts kaum mehr standhalten und schlagen Alarm. Neben vielen Kriegsflüchtlingen kommen auch immer mehr Menschen, die sich die stark gestiegenen Kosten für Lebensmittel, Sprit und Energie nicht mehr leisten können. Ihnen zu helfen, darf nicht Aufgabe der meist ehrenamtlichen Helfer in Tafeln, Suppenküchen, Kleiderkammern und ähnlichen Einrichtungen bleiben. Hier ist an erster Stelle die Politik gefragt!

Das Entlastungspaket der Bundesregierung greift allerdings viel zu kurz: Rentner gehen dabei fast leer aus, vom Tankrabatt blieb an der Zapfsäule nicht viel übrig und Einmalzahlungen von wenigen hundert Euro sind oft nur ein Tropfen auf den heißen Stein. Alle Maßnahmen helfen – wenn überhaupt – nur kurzfristig, während die Ausgaben eher noch steigen. Dringend nötig wären deshalb eine schnelle Erhöhung der Hartz-IV-Regelsätze und deutliche Entlastungen für Geringverdiener. Der Staat darf sich nicht auf die Arbeit der Tafeln verlassen. Im Gegenteil: Er sollte dafür sorgen, dass sie überflüssig wird.

Simone Sitta

22.06.2022 - Armut , Deutschland , Ernährung