Michel Sabbah:

Die „Stimme Palästinas“ wird 90

90 Jahre wird Michel Sabbah an diesem Sonntag. 1987 ernannte Papst Johannes Paul II. den Mann aus Nazareth zum Lateinischen Patriarchen. Bis ins hohe Alter ist Sabbah ein unbequemer Mahner geblieben: einer, der sich für die Sache der Palästinenser stark macht. Und der doch nie die Versöhnung mit Israel aus den Augen verliert.

An einem Januartag 1988 vermeldete der Radiosender des Haschemitischen Königreichs Jorda­nien: „Heute kehrt Patriarch Michel Sabbah nach Jerusalem zurück, nachdem er zum Patriarchen von Jerusalem ernannt wurde. Somit ist er der erste arabisch-palästinensische Mann in diesem Amt seit 500 Jahren. Er kehrt in ein unruhiges Jerusalem zurück, nachdem die Palästinenser ihren glorreichen Aufstand begonnen haben, um die israelische Besatzung zu beenden.“ 

Am 11. Dezember 1987 ernannt, wurde er von Johannes Paul II. am 6. Januar 1988 im Petersdom in Rom zum Bischof geweiht. Wenig später fragten Dutzende von Journalisten den früheren Pfarrer von Madaba (Jordanien) und Präsidenten der katholischen Universität Bethlehem am Flughafen Rom nach seiner Botschaft. Seine Antwort war „einfach“, erzählt der in Nazareth geborene Sabbah im Film „The People’s Patriarch“ (Der Volkspatriarch) 32 Jahre später. 

In erster Linie Mensch

„Wenn ich nach Jerusalem zurückkehre, wird man sehen, was ich sagen werde.“ Heimgekehrt, bezog er gleich Position, was israelischen Stellen oft missfallen sollte: „Die Menschen haben ein Recht auf Freiheit, ein Recht auf Anstand.“ Oft betonte er, dass er in erster Linie nicht Bischof oder Priester sei, „sondern Mensch“. Und weiter: „Natürlich bin ich auch Palästinenser. Ich empfinde selbstverständlich mit den Palästinensern. Ich stehe auf ihrer Seite. Aber als Mensch empfinde ich mit allen Menschen.“ 

Eine Grundüberzeugung, die Sabbah sinngemäß immer wieder übermittelte, lautet: „Sicherheit für die Israelis wird es erst geben, wenn Palästina frei und unabhängig ist.“ Dies war für ihn gleichbedeutend mit einem Ende der Militärbesatzung. Erst dann könne Frieden wachsen. Nichts hat er mehr ersehnt als ebendiesen, das zeigt schon sein Wahlspruch: „In pulchritudine pacis“ (In der Schönheit des Friedens). 

Erreicht ist der Frieden bis heute nicht. Mitten im ersten Palästinenser-Aufstand zum höchsten katholischen Repräsentanten des Heiligen Landes gewählt, musste Sabbah in seiner Amtszeit auch den zweiten, viel blutigeren miterleben. Wurden in der ersten Intifada 88 Israelis und 886 Palästinenser getötet, waren es in der zweiten 1063 Israelis und 4906 Palästinenser. 

Viola Raheb, in Bethlehem geborene Christin, Theologin und während des zweiten Volksaufstands Schulrätin der evangelisch-lutherischen Schulen in Jordanien und Palästina, hat Sabbah mehrfach getroffen. Unvergesslich ist ihr Sabbahs damaliger Hirtenbrief, in dem er angesichts israelischer Bombardierung von Häusern in Bethlehems Nachbarort Beit Dschala forderte: „Bombardiert unsere Kirchen, aber schont die Häuser der Menschen.“ Raheb sieht in Sabbahs Predigten und Hirtenbriefen „eine prophetische Stimme Palästinas“.

Für Omar Haramy, Direktor des palästinensischen Sabeel-Zentrums für Befreiungstheologie, liegt das Besondere am emeritierten Patriarchen darin, „dass er ein einfacher, gewöhnlicher Christ aus Palästina ist“. Den Titel „Volkspatriarch“ habe er sich verdient, da er „das Leiden unseres Volkes selbst erlebt hat und der Ungerechtigkeit widerstanden hat, indem er Menschenrechtsverletzungen entlarvt hat, ohne die Menschlichkeit des Besatzers zu schmälern“. 

Mann der leisen Töne

Die deutsche Journalistin Barbara Stühlmeyer hat Sabbah als „spirituell und Mann der leisen Töne“ erlebt, als einen, „der Ruhe ausstrahlt“. Der österreichische Theologe Andreas Paul, im Internationalen Versöhnungsbund engagiert, ist Michel Sabbah 2006 in Linz begegnet. Wie auch schon bei Treffen in Palästina beeindruckte ihn der Patriarch „mit seiner klaren Sicht auf die Probleme im Heiligen Land und seinem tiefen Wunsch nach Frieden für alle Menschen, die dort leben“.

Er sei ein Mann des Gebets, bekennt der nun 90-Jährige am Ende des Films des muslimischen Regisseurs Mohammed Alatar. Den Allerhöchsten bitte er: „Schau vom Himmel herab und sieh! Warum lässt du das alles geschehen? Menschen sterben, werden unterdrückt. Deine Kinder, deine Schöpfung, töten und werden getötet. Du hast den Menschen anständig und wertvoll erschaffen. Guter Herr, schütze die Menschheit und leite sie auf den richtigen Pfad.“

Johannes Zang

15.03.2023 - Israel , Jubiläum , Palästina