Kommentar

Prostitution: Abstand nehmen statt regeln

Es wird weiter gelockert bei den Corona-Beschränkungen – und wenn es nach dem „Bundesverband sexuelle Dienstleistungen“ geht, soll das schrittweise auch für die seit 16. März geschlossenen Bordelle und die Prostitutionsbranche insgesamt gelten. Der Verein hat sogar ein „Hygienekonzept“ vorgelegt und glaubt anscheinend allen Ernstes, dass sich die in anderen Bereichen penibel überwachten Abstandsregeln umsetzen lassen und Freier wie bei einem Besuch der Eisdiele ihre Kontaktdaten hinterlassen, um gegebenenfalls Corona-Infektionsketten zurückverfolgen zu können. 

Aber darf es auf diesem Gebiet überhaupt ein Zurück zu einer wie auch immer gearteten „Normalität“ geben? Diese „Normalität“ bedeutet eine zig-tausendfache sexuelle Ausbeutung von Frauen: Viele sind über Menschenhändler aus Osteuropa gekommen, arbeiten unter Zwang und menschenunwürdigen Bedingungen, werden körperlich und seelisch zerstört. Schon lange – als Folge einer verfehlten Gesetzgebung im Jahr 2002 – gilt Deutschland als „Bordell Europas“.

Solwodi, ein von der katholischen Ordensfrau Lea Ackermann gegründeter Verein, der Frauen beim Ausstieg aus der Prostitution hilft, hält freilich nicht viel davon, Prostitution einfach nur zu verbieten. Denn damit würden hauptsächlich die Opfer des Systems, die betroffenen Frauen, kriminalisiert. Vielmehr gelte es, durch ein Sexkauf-Verbot die Nachfrage „auszutrocknen“. So versucht es das sogenannte Nordische Modell, das Freier und Zuhälter bestraft und den Frauen neue Perspektiven aufzeigt. Es gilt etwa in Schweden, Frankreich und Irland. 

Zwar gibt es kein Modell, das Zwangsprostitution wirklich verhindern kann. Das weiß auch die Gruppe von 16 Bundestagsabgeordneten, die sich in einem Brief an die Ministerpräsidenten für die Einführung des Nordischen Modells ausspricht. Allerdings sind die Länderchefs die falschen Adressaten. Dafür braucht es am besten eine EU-Initiative. Doch der Brief trägt hoffentlich dazu bei, dass nicht Abstandsregeln, sondern das Abstand nehmen die Diskussion um den Sexkauf bestimmt.

Pavel Jerabek

03.06.2020 - Corona , Gesundheit , Prostitution