Aus welchem Ideengut schöpft Wladimir Putin? Nach welcher Ideologie lebt und handelt er? Das sind Fragen, die gerade angesichts des russischen Einmarschs in der Ukraine viele Menschen bewegen. Alle möglichen Namen wurden als vermeintliche Quelle der Machtpolitik des Kreml-Chefs genannt. Der Name des russischen Religionsphilosophen Iwan Iljin (1883 bis 1954) fehlt meist – zu Unrecht.
Iljin kann als Putins Lieblingsphilosoph gelten. 2005 ließ er dessen Leichnam in der Schweiz exhumieren und im Moskauer Donskoi-Kloster bestatten. Putin nahm persönlich an der Zeremonie teil. Ein Jahr später ließ er Iljins Nachlass aus der Michigan State University in den USA holen. Seither zitiert der Kreml-Chef Iljin regelmäßig bei seinen jährlichen Ansprachen im russischen Parlament.
Der US-amerikanische Historiker Timothy Snyder sieht in dem Philosophen den Begründer eines „christlichen Faschismus“ und den „Säulenheiligen der konservativen russischen Staatsideologie“. Dmitri Medwedew, Ex-Präsident, langjähriger Putin-Vertrauter und Vorsitzender der Kreml-Partei „Einiges Russland“, empfahl Iljin der russischen Jugend zur Lektüre.
Iljin war der Sohn eines russischen Vaters mit Verbindungen in den Kreml und einer deutschstämmigen Mutter. Er studierte in Moskau Jura und wurde Dozent an der Moskauer Universität. Ursprünglich Sozialrevolutionär, entwickelte er sich zum Gegner der kommunistischen Bolschewiki. Nach der Oktoberrevolution wurde er sechsmal verhaftet und zum Tode verurteilt. Das Urteil wurde allerdings nicht vollstreckt. Stattdessen wurde Iljin zusammen mit anderen Philosophen aus Russland verbannt.
Gegen das Böse
Er ließ sich in Deutschland nieder und begann 1922, am Russischen Wissenschaftlichen Institut in Berlin zu arbeiten. Seine Dissertation beschäftigte sich mit Hegel und „der Konkretheit Gottes und des Menschen“. 1925 erschien Iljins Buch „Über den gewaltsamen Widerstand gegen das Böse“. Mit Blick auf die Bolschewiki in Russland forderte er zum Mut auf, „zu verhaften, zu verurteilen und zu erschießen“.