Äthiopien:

Alte und neue Kriegsfronten

Entgegen vieler Erwartungen hält der Frieden zwischen den äthiopischen Bürgerkriegsparteien: der Regierung in Addis Abeba und den Rebellen in der nördlichen Region Tigray. Die Entwaffnung der Rebellen hat begonnen. Zugleich steht das ostafrikanische Land vor neuen Herausforderungen: Schon wird an anderer Front gekämpft.

Erstmals seit Monaten rollen wieder regelmäßig Hilfskonvois nach Tigray. Zum orthodoxen Weihnachtsfest tauschten die Tigrayer über Telefonleitungen, die während des Bürgerkriegs schwiegen, wieder Glückwünsche aus. Und zwischen der Hauptstadt Addis Abeba und der Provinzhauptstadt Mekelle verkehren wieder Linienflüge. Mit der Entwaffnung der lokalen Kämpfer startete der nächste große Schritt in Äthiopiens Friedensprozess. 

„Tigray hat seine schweren Waffen abgegeben“, bestätigte der Sprecher der Lokalbehörden, Getachew Reda. Dies sei „Teil der Zusage, die Vereinbarung von Pretoria umzusetzen“. 5000 Kilometer weiter südlich, in der Hauptstadt Südafrikas, hatten Äthiopiens Bürgerkriegsgegner im November einen Friedensdeal geschlossen. Die damit einhergehende Waffenruhe soll den Schlussstrich unter den blutigen Konflikt der jüngsten Vergangenheit ziehen. 

Im November 2020 war der gerade erst zum Friedensnobelpreisträger gekürte Premier Abiy Ahmed gegen die Rebellen im Norden in den Krieg gezogen. Die Volksbefreiungsfront von Tigray (TPLF), die Äthiopiens Politik selbst jahrelang beherrschte, hatte sich geweigert, Abiy als Regierungschef anzuerkennen. Millionen Menschen mussten vor den Kämpfen fliehen. Mehr als 500 000 sollen ums Leben gekommen sein. 

Hilfsorganisationen warfen der äthiopischen Regierung vor, Hunger als „Kriegswaffe“ einzusetzen, während Tigrays teils zerbombten Krankenhäusern die Medikamente ausgingen. „Nirgendwo auf der Welt erleben wir eine solche Hölle wie in Tigray“, sagte Tedros Ghebreyesus, der aus der Region stammende Generaldirektor der Weltgesundheitsorganisation WHO.

Meilensteine des Friedens

Mehrere Waffenstillstandsvereinbarungen wurden in den vergangenen zwei Jahren gebrochen – manche binnen weniger Stunden. Nun könnte der Frieden endlich halten. Als „Meilenstein“ verbuchten die Führer von Tigray den Besuch einer äthiopischen Regierungsdelegation Ende Dezember. Andere Fortschritte sieht die Denkfabrik „International Crisis Group“ (ICG): „In einer positiven Entwicklung für Äthiopiens heiklen Friedensprozess begannen Eritreas Truppen mit dem Rückzug aus Teilen Tigrays.“ 

Eritrea, das Nachbarland, galt einst als Äthiopiens Erzfeind. Nach dem Friedensschluss 2018, für den Premier Abiy den Nobelpreis zugesprochen bekam, ist das Regime in der Hauptstadt Asmara ein neuer Verbündeter. Eritreas Streitkräfte kämpften an der Seite äthiopischer Truppen gegen die Tigray-Rebellen. Dass sie nun mit dem Abzug begonnen haben, bezeichnet die ICG als „wesentlich“ für den „fragilen Friedensprozess“. 

Äthiopien ist Sitz der Afrikanischen Union und gilt als Hoffnungsträger in Afrika. Von Stabilität ist das zweitbevölkerungsreichste Land des Kontinents aber noch weit entfernt. Daran konnte selbst der Tigray-Frieden nur wenig ändern: Während die Waffen in der nördlichen Provinz schweigen, flammte der Konflikt in der zentralen Region Oromia wieder auf. Ein Angriff forderte dort laut ICG Dutzende Todesopfer. Tausende Bewohner mussten fliehen. Auch in Addis Abeba stiegen die Spannungen zwischen den Volksgruppen der Oromo und der Amhara. 

Seit Jahren schon warnen Experten vor sich ausbreitendem „ethnischen Nationalismus“ in dem Vielvölkerstaat. Die Gräben zwischen den mehr als 90 Volksgruppen sind tief. Verkompliziert wird das Kräftemessen durch die Tatsache, dass sich rund um viele der ethnischen Gruppen Parteien mit eigenen Armeen formierten. Einige davon stuft die Zentralregierung in Addis Abeba als Terrororganisationen ein.

Markus Schönherr

18.01.2023 - Afrika , Ausland , Krieg