EU-Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen hat vor Kurzem den Vatikan besucht. In einer Audienz bei Papst Franziskus ging es unter anderem um den Klimawandel. Einer der Anlässe für den Besuch waren die Feiern zum 50. Jahrestag der Aufnahme diplomatischer Beziehungen zwischen dem Heiligen Stuhl und der EU. Mit unserer Zeitung sprach die 62 Jahre alte Protestantin exklusiv über christliche Werte in Europa und die globale „Impfgerechtigkeit“ im Kampf gegen die Corona-Pandemie.
Frau Präsidentin, seit 50 Jahren bestehen diplomatische Beziehungen zwischen dem Heiligen Stuhl und der Europäischen Union. Wie steht es heute um diese Beziehungen?
Die Beziehungen zwischen dem Heiligen Stuhl und der Europäischen Union sind ausgezeichnet. Diese 50 Jahre haben gezeigt, wie sehr wir auf der gleichen Wellenlänge sind. Grundsätzlich basiert eine gute Zusammenarbeit darauf, dass man die gleichen Werte teilt. Diese sind in unserem Fall das Engagement für den Frieden, für die Solidarität, für die Würde des Menschen. Diese Bereiche und viele andere sind die gemeinsamen Werte.
Wir verfolgen natürlich sehr aufmerksam das große Thema des Vatikans, was die Globalisierung der Solidarität betrifft, die uns sehr am Herzen liegt. Und wir sind sehr dankbar für das Interesse des Vatikans an unserer Konferenz über die Zukunft Europas. Diese wenigen Elemente zeigen bereits, wie gut und tief unsere Beziehungen sind.
Die Appelle von Franziskus für eine faire Verbreitung von Impfstoffen, etwa durch die Initiative Covax, finden bei der Europäischen Union Gehör. Wie wird sich die EU-Kommission darüber hinaus für die Bewältigung der globalen Gesundheitskrise einsetzen?
Wir wissen, dass sich niemand als sicher betrachten kann, solange nicht jeder sicher ist. Und dass jeder Zugang zu einem sicheren, wirksamen und für alle erschwinglichen Impfstoff haben muss. In diesem Bereich gibt es mehrere Wege, die wir wählen können.
Die Europäische Union ist – trotz aller Schwierigkeiten bei der Sicherstellung von Impfstoffen – bei dem Grundsatz geblieben, dass die Hälfte der europäischen Produktion in andere Länder geleitet werden muss: Insgesamt geht die europäische Produktion in 90 andere Länder, und das ist ein Teil der Problembewältigung.
Der zweite Teil – und das ist Covax – ist auch extrem wichtig. Die Europäische Union ist einer der größten Geldgeber von Covax. Vor Kurzem haben wir uns bei einem G20-Gipfel als vereintes Europa verpflichtet, 100 Millionen Impfdosen an Covax zu liefern. Es ist jetzt extrem wichtig, kostenlose Impfdosen zur Verfügung zu stellen, gerade weil es überall Engpässe gibt.
Gibt es weitere Möglichkeiten, wie Europa ärmeren Ländern in der Krise helfen kann?
Dabei hatten wir bereits einen ersten Erfolg. Unsere Industriepartner Biontech-Pfizer, Johnson & Johnson und Moderna haben sich verpflichtet, in diesem Jahr noch weitere 1,3 Milliarden Impfstoffdosen zu liefern, und zwar kostenlos an Länder mit niedrigem Einkommen und zu reduzierten Preisen an Länder mit mittlerem Einkommen.
Diese drei Wege – Export, Spende und Industriepartnerschaften – haben eine wichtige Kernbotschaft, die mir besonders am Herzen liegt: das vereinte Europa arbeitet mit unseren afrikanischen Partnern am Aufbau von Impfstoffproduktionsstätten in Afrika. Dies gilt natürlich nicht kurzfristig, sondern mittel- und langfristig. Wir werden also mit Technologie, mit industriellen Partnern, mit massiven Investitionen, aber auch mit der Ausbildung von Personal vorgehen, damit Afrika langfristig unabhängig sein wird, was die Produktion von Impfstoffen für den eigenen Bedarf angeht.