Noch ein „Vatileaks“?

Vatikangelder für Luxusgüter

Im Vatikan befürchten einige, der jüngste Konflikt könnte sich zu einem neuen Skandal ausweiten. Wieder sind interne Dokumente an Journalisten weitergeleitet worden. Es geht um Kontoauszüge, die die frühere Nummer Zwei im Staatssekretariat belasten: den inzwischen zurückgetretenen Kardinal Giovanni Angelo Becciu (wir berichteten in Nummer 40). Zur gleichen Zeit ist der australische Kardinal ­George­ Pell nach Rom zurückgekehrt. Mit ihm lag Becciu mehrere Jahre im Streit um Kompetenzen. 

Der noch formell als Kardinal geführte frühere Kurienmitarbeiter Becciu findet klare Worte über sein Verhältnis zum ehemaligen für Wirtschaftsfragen zuständigen Kurienkardinal: „Es gab einen auf dienstlicher Ebene stattgefundenen Konflikt mit Kardinal Pell, weil er bereits Gesetze anwenden wollte, die der Papst noch gar nicht verkündet hatte. Ich wusste, Pell wollte gegen mich vorgehen.“ Über diesen Konflikt vor zwei Jahren berichtet der 72-Jährige weiter: „Dann brachte mich der australische Kardinal bei einem Treffen mit dem Papst zum Schweigen, während wir über Berichte sprachen und ich versuchte, eine Idee von mir vorzubringen. Ich sagte ihm ins Gesicht: ,Sie sind ein unehrlicher Mann.‘“

Seitdem hat sich die Situation verändert. Pell wurde in seiner Heimat wegen sexuellen Missbrauchs angeklagt und verurteilt, dann aber – nach mehreren Monaten im Gefängnis – in höchster Instanz freigesprochen. Becciu hingegen musste seine Leitungsfunktion bei der Selig- und Heiligsprechungskongregation abgeben.

„Ich bin sehr glücklich, wieder in Rom zu sein“, sagt Kardinal Pell unserer Zeitung bei einer Begegnung vor seiner Wohnung neben dem Vatikan. „Wir werden sehen, ob ich in den nächsten Tagen den Papst treffen werde“, fügt er lächelnd hinzu. (Pell ist am Montag von Franziskus zu einer privaten Unterredung empfangen worden; Anm. d. Red.) Zum Fall Becciu jedoch will er keinen Kommentar abgeben, als er sich in Begleitung eines Priesters zur Anbetung in der Kirche Santo Spirito in Sassia auf den Weg macht. 

Belastende Kontoauszüge

Inzwischen sehen viele in dem offenen Konflikt zwischen Becciu und Pell den Beginn eines dritten „Vati­leaks-Skandals“. 2012 und ein weiteres Mal 2015 waren Vatikan-Interna zu Wirtschaftsdelikten ungewollt an die Öffentlichkeit gelangt. So war die vatikanische Justiz auch zuletzt mit Fällen möglicher Misswirtschaft und Korruption befasst. Die Ermittlungen stehen erst am Anfang, doch die italienische Presse erhielt zuletzt etliche anonyme Hinweise und Kopien von Kontoauszügen, die vor allem Becciu belasten und ein schiefes Licht auf den bisherigen Umgang mit Spendengeldern werfen. 

Diese Enthüllungen nahmen im vergangenen Jahr ihren Ausgang, als die internen Ermittler den Erwerb eines Londoner Gebäudes durch den Vatikan untersuchten. Zunächst ging es um einen Verdacht der Korruption auf verschiedenen Ebenen. Schnell stieß man dabei aber auf große Mängel bei der Verwaltung der vom Papst für die Armen reservierten Mittel. 

Unter den nun publik gewordenen vertraulichen Dokumenten gelten vor allem Angaben über eine – für italienische Medien – „geheimnisvolle Frau“ als pikant, die sich als Mitarbeiterin des Geheimdienstes ausgibt. Die 38-jährige, aus Sardinien stammende Cecilia Marogna habe – nach den nun bekanntgewordenen Kontoauszügen – zwischen Dezember 2018 und Juli 2019 mindestens 500 000 Euro erhalten. Davon habe sie fast die Hälfte für den Kauf von Luxusgütern wie Schuhen, Ledermöbeln und Markenkleidern ausgegeben. Dabei stammten die fraglichen Gelder aus dem für die karitativen Projekte des Papstes bestimmten Budget. 

Vertrauen der Ehefrauen 

Die Dame, die in Ljubliana eine Briefkastenfirma führt, erklärte gegenüber Journalisten, sie sei persönlich von Becciu beauftragt worden, um der Kirche bei der Befreiung von entführten Missionaren in Afrika und Asien zu helfen. Sie habe die gekauften Luxusgüter dafür verwendet, das Vertrauen der Ehefrauen von afrikanischen Staatsoberhäuptern zu gewinnen. Ob das den Tatsachen entspricht, überprüft nun nicht nur die vatikanische Justiz. Auch italienische Ermittler haben sich in die Untersuchungen um die junge Sardin eingeschaltet.

Unterdessen bestätigte Becciu, er selbst sei vom Papst wegen des gegen ihn erhobenen Vorwurfs entlassen worden, er habe Familienangehörige mit Mitteln aus dem Peterspfennig begünstigt. Aber: „Die Beziehung zu Cecilia Marogna war rein beruflich“, ließ der ebenfalls aus Sardinien stammende Kurienmitarbeiter durch seinen Anwalt verlauten. Auch habe er sich nie in den Prozess gegen Kardinal Pell eingemischt. 

Damit will Becciu Gerüchten begegnen, es seien wenige Tage vor der Verhaftung Pells in Australien 700 000 Euro vom vatikanischen Staatssekretariat nach Canberra überwiesen worden – zu dem Zweck, Pell „auszuschalten“. Hatte auch dabei die auf internationale Beziehungen spezialisierte Marogna ihre Finger mit im Spiel?  

Eines wolle sie jedenfalls klarstellen, beteuerte die Beraterin: Sie sei mit Becciu nicht verwandt, noch habe sie eine unangemessene Beziehung unterhalten. Vieles liegt also noch im Dunkeln.

Mario Galgano

14.10.2020 - Finanzen , Kardinäle , Vatikan