Terror gegen Nigerias Christen

"Was hier passiert, ist Völkermord"

Sie kamen mit Maschinengewehren: Bis zu 120 Menschen starben, als bewaffnete Nomaden vom muslimischen Stamm der Fulani Ende Juni eine christliche Trauergesellschaft überfielen. Im April hatten Fulani – ebenfalls während eines Beerdigungsgottesdienstes – zwei Priester und 15 Gläubige ermordet. Im Interview mit unserer Zeitung erläutert der Bischof von Makurdi, Wilfred Anagbe, die Lage. In seiner Diözese liegt der Ort Mbalom, wo sich der Überfall ereignete. Anagbe spricht angesichts der Serie von Überfällen und Terror-Attacken von Völkermord.

Herr Bischof, wie kam es zu dem Überfall?

Seit 2010 gibt es ständig Attacken der Fulani. Das sind Terroristen! Unser Bundesstaat Benue besteht aus 28 Distrikten. 16 davon werden immer wieder attackiert. Allein von Januar bis April gab es 87 Attacken der Fulani auf Christen im „Mittleren Gürtel“ Nigerias (dem Zentrum des Landes, Anm. d. Red.). Mindestens 1000 Menschen wurden getötet, eine Million Menschen sind auf der Flucht. Allein 160 000 Flüchtlinge leben in Lagern in Benue. Und das sind nur die, die nicht von Verwandten aufgenommen wurden.

Warum töten die Fulani Christen? 

Die Fulani sind ein muslimischer Hirtenstamm. Sie leben heute noch wie im Mittelalter. Sie stammen aus angrenzenden Ländern wie Niger oder Tschad und wandern während der Trockenzeit in Nigeria ein, seit mehr als 100 Jahren schon. Früher kamen sie mit ihren Frauen, Kindern und wenigen Kühen und Ziegen. Damals hatten sie Hirtenstäbe und es gab kleinere Auseinandersetzungen mit den sesshaften, christlichen Bauern, wenn sie ihr Vieh über deren Äcker trieben. 

Heute kommen nur junge Männer ohne Familien – und sie haben Maschinengewehre. In Nigeria sind 20 Millionen Kühe unterwegs. Das ist nicht mehr praktikabel. Früher lebten weniger als 50 Millionen Menschen in Nigeria. Heute sind es offiziell 200 Millionen. Die kann man nur ernähren, indem man das Land kultiviert. Da ist kein Platz für riesige durchziehende Kuhherden.

Warum lässt sich das Problem nicht friedlich lösen?

Der politische Wille fehlt! Das Recht ist auf unserer Seite. Benue hat im Mai 2017 als erster Bundesstaat ein Gesetz gegen freilaufende Rinderherden erlassen. Wer Rinder halten will, muss sie auf umzäunten Weiden oder in Gehegen halten. Den gesetzlichen Rahmen hat Nigerias Präsident Muhammadu Buhari geschaffen. 

In Ghana funktioniert das. Der Präsident von Ghana ist Christ. Er sagt: „Kühe, die frei herumlaufen, sind Grillfleisch.“ Und er setzt das auch durch. Bei uns mussten es die Bundesstaaten selber umsetzen. Als Reaktion auf unser Gesetz verabredeten sich die Fulani im Januar in Benue, um es den Christen heimzuzahlen und das Land mit Terror zu überziehen. Ich frage mich, wer diese Terroristen bewaffnet.

Haben Sie einen Verdacht?

Die Fulani sind nur gedungene Cowboys, bezahlte Knechte, denn die Kühe gehören ihnen größtenteils überhaupt nicht. Sie gehören den Politikern. Dahinter steckt die Organisation „Miyetti-Allah Cattle Rearers Association“. Das Schlimme ist, dass uns niemand hilft. Was hier passiert, ist ein Völkermord – und die westliche Welt ignoriert es. Als einziger hat der amerikanische Präsident Donald Trump unseren Präsidenten Buhari auf die Fulani-Attacken angesprochen. Aber Buhari gehört selber dem Stamm der Fulani an. 

Die Medien sind korrupt, sie berichten nicht über Morde an Christen, und der Präsident hat alle wichtigen Führungspositionen bei Polizei und Armee mit Muslimen besetzt. Als unser Gouverneur nach China gereist war, wurden die Befehlshaber auch in Benue durch Muslime ersetzt, obwohl hier 99 Prozent Christen sind. Deshalb erhielten unsere ermordeten Priester und Kirchenbesucher keine Hilfe. Mein Sekretär versuchte vergeblich, die Polizei anzurufen. Es ging niemand ans Telefon.

Die Polizei war nicht erreichbar?

Nein. Es kam keine Hilfe! Schließlich gingen andere Priester unter Einsatz ihres Lebens in die Kirche hinein, um die Leichen zu bergen. Pfarrer Felix Tyolaha (45) war bereits tot, Pfarrer Joseph Gor lebte noch. Er starb erst auf dem Transport ins Krankenhaus. Im Januar hatte der 38-Jährige noch auf Facebook geschrieben: „Wir leben in Angst. Bewaffnete Fulani sind hier und weigern sich zu gehen. Wir haben nichts, um uns zu verteidigen.“ Unser Gouverneur hat den Präsidenten und den Polizeichef von Nigeria schriftlich um Hilfe gebeten, aber nicht einmal eine Antwort erhalten. Ich bin überzeugt davon, dass dahinter ein Plan steht.

Was für einen Plan vermuten Sie?

Der große Plan ist, aus Nigeria einen islamischen Staat zu machen. Derzeit leben etwa gleich viele Christen und Muslime in Nigeria. Die Menschen bei uns im „Mittleren Gürtel“ sind fast ausschließlich Christen. Jetzt werden sie von den Fulani attackiert, aus ihren Häusern vertrieben und getötet, ihr Land besetzt. Unsere Bischofskonferenz hat den Präsidenten bereits im Februar aufgefordert, etwas gegen den Terror zu tun. Er ist nicht der Präsident der Muslime, sondern aller Nigerianer, auch der Christen.

Besteht noch Hoffnung für die Christen in Nigeria?

Wir hoffen auf Gott, dass er uns den Frieden zurückgibt. Ich hoffe auf Freiheit und das Recht auf eigenen Glauben. Aber die Muslime geben uns Christen keine Glaubensfreiheit. Meine letzte Hoffnung setze ich auf die nigerianische Verfassung. Sie garantiert allen Nigerianern Freiheit. Ich erwarte von jedem Präsidenten, dass er die Rechte eines jeden Bürgers respektiert – sei er nun Muslim oder Christ. Nigeria ist Mitglied der Vereinten Nationen. Deswegen hoffe ich auch immer noch auf die westlichen Länder, obwohl sie offenbar wegschauen.

Interview: Andrea Hammerl

27.06.2018 - Afrika , Minderheiten , Terror