Zu Besuch in der „Casa Paderborn“

„Wir sind die Seele des Camino“

PAMPLONA – Sie sind Krankenpfleger, Seelsorger, Psychologen, Hausmeister, Wasserservierer, Abfallentsorger und Ansprechpartner in Dauerbereitschaft. Sie sind die Nähte, die das Gesamtgewebe des Pilgerwesens auf dem Jakobsweg still zusammenhalten. Oder, wie es Andreas Fischli, 66, Pensionär aus Basel, ausdrückt: „Wir sind die Seele des Camino.“ 

Gemeint sind Hospitaleros und Hospitaleras, die Pilgerherbergsleiter und -leiterinnen, die in Spanien auf dem Camino de Santiago, wie der Jakobsweg in der Landessprache heißt, den Dienst am Nächsten tun. Wobei es zu unterscheiden gilt zwischen Hauptberuflern und Freiwilligen. Zur zweiten Gruppe zählt Andreas, der sich zusammen mit Gleichgesinnten in einer Kombination aus Spanischkurs und Austausch untereinander gewissenhaft auf seinen Einsatz vorbereitet hat.

Getan hat er das am Ort des Geschehens: in der Pilgerherberge „Casa Paderborn“ in Pamplona, am Hauptweg durch Spaniens Norden – dem Klassiker, der von den Pyrenäen ins etwa 750 Kilometer entfernte Sehnsuchtsziel Santiago de Compostela führt. Die Herberge wird unterhalten vom „Freundeskreis der Jakobuspilger“ in Pamplonas deutscher Partnerstadt Paderborn. 

Zwischen Anfang März und Ende Oktober steht das 26-Betten-Haus Ankömmlingen offen. Die Ehrenamtler arbeiten jeweils drei Wochen lang in Zweierteams, bis die Ablösung folgt. Die Nachfrage, sich einzubringen, ist groß. Es gibt sogar Wartelisten.

Ein offenes Ohr

Fragt man Hospitaleros und Hospitaleras nach ihren Motiven, lautet der allgemeine Tenor: um etwas zurückzugeben als Dank für all das, was man auf der eigenen Pilgerschaft erfahren hat. Hilfe, Zuwendung, Ratschläge, Beistand in Notsituatio­nen. Etwas zurückgeben bedeutet, sich selbst zurückzunehmen. 

„Die wichtigste Eigenschaft ist, dass du zuhören kannst“, sagt Manfred Holthoff, 74, ein ehemaliger Kaufmann aus dem norddeutschen Stadland, der mit seiner Frau Birgit schon gemeinsam durch Portugal gepilgert ist. Dort seien beide derart „euphorisch und glücklich“ unterwegs gewesen, dass sie keine weitergehende Hilfe benötigten. 

Allerdings, räumt Manfred ein, hätten sie sich immer aneinander stützen können. Das ist keine Selbstverständlichkeit, denn viele Pilger machen sich allein auf den Weg – mit dem Rucksack auf den Schultern, aber auch anderen Lasten im Gepäck. Sie in den Herbergen aufzunehmen, aufzufangen, die richtigen Worte zu finden, mit Fingerspitzengefühl Unterstützung anzubieten, ist essenziell. 

Andreas Fischli weiß aus eigener Erfahrung, wie es ist, nach langen, anstrengenden Pilgertagen in Herbergen einzutreffen. Es sei diese „unschätzbare Hilfe“, die einem dort zuteil werde. Das könnten „kleine Sachen“ sein: etwas zu trinken zu bekommen oder einen Tipp für eine weitere Unterkunft, sollte schon alles belegt sein.

„Hospitaleros leisten für mich den entscheidenden Beitrag, dass es mir gut geht auf dem Weg“, bekräftigt Erika Sürth-Keller, 65, Ruheständlerin aus Pulheim. Und Manfred aus Stadland unterstreicht die Rolle des Herbergsgastgebers, der „Menschen so behandeln soll, wie man selbst behandelt werden will“. Dem Pilger, sagt Manfred, sollte man das Gefühl geben: „Hier ist er heute zu Hause.“ 

Unterwegs, erzählt Martin Gottschweski, 55, Kaufmann aus Bremen mit 18 000 Pilgerkilometern in den Beinen, habe er sich immer am wohlsten gefühlt, „wenn es Atmosphäre gab“. Wobei ihm aus eigener Hospitalero-Warte klar ist: „Ich kann nur den Rahmen schaffen, den Rest bringt der Pilger mit.“ Arno F. Kehrer, 56, aus Frankfurt und bei der Diakonie in der Öffentlichkeitsarbeit tätig, sieht im Hospitalero-Sein „ein großes Lehrstück“ in Sachen Toleranz. Es sei unverzichtbar, Voreingenommenheiten abzulegen und damit auch sich selbst die Chance zu geben, „den anderen richtig wahrzunehmen“. 

Fürs Weiterkommen gibt die in Frankreich lebende Österreicherin Veronika Nobile, 60, vormals Geschäftsführerin einer großen Lebensmittelfirma, den Ratschlag weiter, der ihr selbst immer wieder geholfen hat: „Geh mit offenen Augen durch das Leben, nimm alles bewusst wahr, dann wirst du dich nicht verlaufen.“

Sich intensiv um Pilger zu kümmern, bringt harte Arbeitstage mit sich. In der „Casa Paderborn“ sind die Herbergslenker gewöhnlich von 5 bis 23 Uhr auf den Beinen. Detlef Brinkmann, 60, Rentner aus Paderborn, und Rita Wittenbreder, 63, aus Bielefeld, verbindet, dass beide bereits auf diverse Einsätze zurückblicken. Der Schlafmangel habe ihr immer am meisten zu schaffen gemacht, im Ruhestand sei es nun etwas einfacher, befindet die einstige Lehrerin Rita. Sie genieße es, vielen Menschen zu begegnen, abends mal ein Glas Wein zusammen zu trinken. 

Auf alles vorbereitet

Ebenso weiß sie, dass man gefestigt sein muss, darauf vorbereitet, Trost zu spenden und „auch mal über Tod und Sterben zu reden“. Dabei erinnert sie sich an einen Ankömmling, der vor vielen Jahren in der „Casa Paderborn“ mit dem Pilgerausweis seiner Frau einchecken wollte, was eigentlich nicht geht. Darauf angesprochen, klärte er auf, seine Frau sei drei Monate zuvor gestorben. Er mache nun den Weg für sie. 

Eine fassbare Erinnerung hat Rita von einem Pilger aus Holland aufbewahrt, der ihr eine künstliche Blume schenkte. „Eigentlich eine kitschige Plastikblume“, sagt Rita, „aber für mich bedeutet sie ganz viel.“ Sie hat noch heute bei ihr daheim einen Ehrenplatz auf dem Camino-Regal.

Pilger, heißt es oft, kommen vom Jakobsweg nicht als jene zurück, als die sie aufgebrochen sind. Das gilt auch für Hospitaleros und Hospitaleras.

Andreas Drouve

20.07.2018 - Magazin , Wallfahrt