Aderlass bei den Kirchen

Mehr als 540.000 Menschen sind 2019 ausgetreten

Die beiden großen Kirchen in Deutschland haben im vergangenen Jahr erstmals insgesamt mehr als 500.000 Mitglieder durch Austritt verloren. Das wurde am Freitag in Bonn und Hannover mitgeteilt.

In den 27 katholischen Bistümern verließen 272.771 Menschen ihre Kirche - so viele wie nie zuvor. Das entspricht 26 Prozent mehr als im Vorjahr. Insgesamt gehörten 2019 noch 22,6 Millionen Menschen der katholischen Kirche in Deutschland an. Damit machen Katholiken 27,2 Prozent der Gesamtbevölkerung aus.

Den evangelischen Kirchen kehrten etwa 270.000 Menschen den Rücken - rund 22 Prozent mehr als im Vorjahr. Damit gehörten 20,7 Millionen Menschen einer der 20 Gliedkirchen der EKD an. Das sind knapp 25 Prozent der Bevölkerung.

Der Rückgang der Mitgliederzahlen hat neben den Austritten auch demografische Gründe: Die Zahl der kirchlichen Bestattungen lag bei beiden großen Kirchen deutlich über der Zahl der Taufen, Eintritte und Wiederaufnahmen.

Ob der Missbrauchsskandal eine zentrale Ursache der neuen Austrittswelle ist, bleibt ungewiss, weil die evangelische Kirche gleich hohe Austrittszahlen verzeichnet, jedoch in der Öffentlichkeit weit weniger mit Missbrauchsfällen in Verbindung gebracht wird.

Im September 2018 hatten die katholischen Bischöfe eine Studie veröffentlicht, die das Ausmaß sexuellen Missbrauchs zwischen 1946 und 2014 untersuchte. Darin fanden sich Hinweise auf bundesweit 3.677 Betroffene sexueller Übergriffe durch rund 1.670 beschuldigte Priester, Diakone und Ordensleute.

Der Vorsitzende der Deutschen Bischofskonferenz, Bischof Georg Bätzing, zeigte sich besorgt über die Entwicklung: "An den heute vorgelegten statistischen Zahlen 2019 gibt es nichts schönzureden", erklärte er: "Die Kirchenaustrittszahl zeigt, dass die Entfremdung zwischen Kirchenmitgliedern und einem Glaubensleben in der kirchlichen Gemeinschaft noch stärker geworden ist."

Auch die rückläufigen Werte beim Empfang der Sakramente zeigten eine "Erosion persönlicher Kirchenbindung". Offenbar lasse sich eine Vielzahl von Menschen nicht mehr für das kirchliche Leben motivieren. Die Kirche müsse sich fragen, ob sie noch die richtige Sprache spreche, um heutige Menschen zu erreichen. Auch müsse sie nach einem erheblichen Verlust von Glaubwürdigkeit durch Transparenz und Ehrlichkeit Vertrauen zurückgewinnen.

Der Ratsvorsitzende der Evangelischen Kirche in Deutschland (EKD), Landesbischof Heinrich Bedford-Strohm, erklärte: "Angesichts dieser Herausforderungen werden wir nicht tatenlos bleiben." In mehreren Zukunftsprozessen wolle die Kirche "die Basis dafür stärken, dass sich Sinn und Bedeutung der Kirche für den Einzelnen und die Gesellschaft erschließt". Die Corona-Krise habe gezeigt, dass Seelsorge, Orientierung und Solidarität für jeden einzelnen, aber auch für die Gesellschaft wichtiger denn je seien: "Die Kirche will sich verändern und tut dies jetzt schon." Notwendig seien neben geistlicher Ausstrahlung und orientierender Kraft auch "ein selbstkritischen Blick auf gewachsene Formate und Strukturen".

KNA

26.06.2020 - Bischöfe , Glaubensleben , Kirchen