Nach Wahl in der Türkei

Debatte über feiernde Erdogan-Anhänger

Angesichts des Wahlergebnisses in der Türkei wird in Deutschland über das Abstimmungsverhalten von hier lebenden Türken diskutiert. Nach der Wiederwahl von Staatspräsident Recep Tayyip Erdogan am Sonntag hatten Anhänger in Berlin abends auf den Straßen der Hauptstadt gefeiert. „Die feiernden deutsch-türkischen Erdogan-Anhänger feiern nicht nur ihren Alleinherrscher, sondern drücken damit zugleich ihre Ablehnung unserer liberalen Demokratie aus. Wie die AfD eben“, schrieb der Grünen-Politiker Cem Özdemir auf Twitter. Dies müsse die Menschen hierzulande beschäftigen.

Die SPD-Bundestagsabgeordnete Cansel Kiziltepe sprach am Montag im ARD-Morgenmagazin von einer „tiefen Spaltung“ der türkischen Gesellschaft. Medienberichten zufolge votierten nach Auszählung von 80 Prozent der Stimmen der in Deutschland lebenden Türken rund 65 Prozent für Erdogan, mehr als in der Türkei. Dieser erhielt demnach die absolute Mehrheit in der Türkei; der Kandidat der größten Oppositionspartei CHP, Muharrem Ince, landete auf Platz zwei.

Kiziltepe nannte es erschreckend, dass sich die Zahl der Anhänger von Erdogans Regierungspartei AKP in Deutschland erhöht habe. Ein Grund dafür sei, dass es in den vergangenen Jahrzehnten „faktisch“ keine Integrationspolitik gegeben habe. Menschen hätten sich ausgegrenzt gefühlt. Für die Türkei sieht die Sozialdemokratin eine Entwicklung hin zu einem „autokratischen Staat“.

Die stellvertretende Fraktionsvorsitzende der Linken, Sevim Dagdelen, stimmte der Kritik Özdemirs zu. „Aber ich finde es zu billig, nur ein solches Urteil zu fällen“, sagte sie bei ntv. Die Frage sei, warum so viele in Deutschland lebende Türken „ein solches autoritäres Regime wählen“. Die Bundesregierung unterstütze Erdogan seit Jahren und lasse „sein Netzwerk hier in Deutschland“ gewähren. Es brauche eine Wende in der Türkeipolitik, „sowohl nach außen als auch nach innen“.

Die muslimische Frauenrechtlerin Seyran Ates kritisierte, die Erdogan-Wähler hierzulande hätten die Folgen ihrer Wahl nicht zu tragen. Sie sähen bei Besuchen in der Heimat vermeintliche Fortschritte beim Straßenbau oder im Gesundheitssystem, so Ates im SWR. Viele Erdogan-Gegner hätten indes nicht zur Wahl gehen können: „Es gibt viele Menschen, die Angst haben, ins Konsulat zu gehen, weil man ihnen den Pass wegnimmt, was ja auch wirklich passiert ist.“

Mit Blick auf die jüngsten Wahlen wurden auch Vorwürfe der Unregelmäßigkeiten laut. Vor allem in den Kurdengebieten im Osten des Landes habe es „erhebliche Wahlmanipulationen“ gegeben, kritisierte die Gesellschaft für bedrohte Völker (GfbV). So seien vielerorts vorher ausgefüllte Stimmzettel in die Wahlurnen geworfen worden; potenzielle Wähler der Opposition hätten bis zu zehn Kilometer zu Wahllokalen laufen müssen. - Mit dem Votum wurde die Einführung des von Erdogan geplanten Präsidialsystems vollendet: der neue Präsident wird mit deutlich mehr Macht ausgestattet.

KNA

25.06.2018 - Ausland , Politik