Kritik an Gutachten

Gänswein verteidigt erneut Benedikt XVI.

Der Privatsekretär von Benedikt XVI. Georg Gänswein weist die gegen den emeritierten Papst erhobenen Vertuschungsvorwürfe im Rahmen der Aufarbeitung von sexuellem Missbrauch erneut zurück. Zugleich übte Gänswein in einem "Zeit"-Interview Kritik an dem von der Anwaltskanzlei Westpfahl Spilker Wastl erstellten Münchner Missbrauchsgutachten.

Benedikt XVI. leitete von 1977 bis 1982 das Erzbistum München und Freising. Das im Januar veröffentlichte Gutachten sieht ein Fehlverhalten des damaligen Erzbischofs Joseph Ratzinger in vier Fällen. "Nicht einer der Vorwürfe hielt der sorgfältigen Prüfung des Aktenmaterials stand", betonte Gänswein. "Sie werden auch durch Wiederholung nicht wahrer." Das Gutachten sei "in Wirklichkeit eine Anklageschrift" geworden, beklagte er.

Dass sich der emeritierte Papst zu dem Gutachten einließ, betrachtet dessen Privatsekretär dennoch auch im Nachgang als richtige Entscheidung. "Welcher Sturm wäre über ihn hereingebrochen, wenn er sich geweigert hätte, an der Missbrauchsaufarbeitung mitzuwirken!" Benedikt selbst habe entschieden, mitzumachen. "Ich habe nichts zu verbergen, ich stelle mich den Fragen", habe er wörtlich gesagt. "Ein Nein hätte zwangsläufig zu einer Vorverurteilung geführt: Alle Welt hätte geargwöhnt, der ehemalige Papst habe etwas zu verbergen."

Als "folgenschweres Versehen" bezeichnete Gänswein eine Angabe des emeritierten Papstes zu einer Ordinariatssitzung vom 15. Januar 1980, in der über den Umgang mit einem Priester entschieden wurde, der sich später als notorischer Missbrauchstäter herausstellte. In seiner Einlassung zu dem Gutachten verneinte er die Teilnahme an der Sitzung, später revidierte er diese Aussage. Zuvor bezichtigten Kritiker den emeritierten Papst der Lüge.

"Zwischen einem Fehler und einer Lüge liegt ein himmelweiter Unterschied", sagte Gänswein. "Tatsache ist, dass Benedikt von den Vorwürfen gegen den Priester keine Kenntnis hatte. Auf seine An- oder Abwesenheit bei der Sitzung kam es also gar nicht an. Es ist sehr weit hergeholt, ihn dafür der Lüge zu bezichtigen. Das hat ihn getroffen."

Die Auseinandersetzung mit dem Missbrauchsgutachten beschrieb der Privatsekretär von Benedikt XVI. als sehr fordernd. Eine "saftige Überraschung" sei der "ellenlange Fragenkatalog aus München" gewesen, für den 8.000 Seiten Archiv-Dokumente digital hätten bewältigt werden müssen. "Viele Fragen waren unsauber und geradezu suggestiv formuliert. Nicht immer wurde zwischen Vermutung, Behauptung und Tatsachen unterschieden. Kurz: mehr Unterstellung als erkenntnisoffene Fragestellung."

Er habe Benedikt geraten, "für diese Mammutaufgabe Hilfe von Experten in Anspruch zu nehmen", sagte Gänswein. Natürlich habe er den emeritierten Papst dann bei der Arbeit unterstützt. "In Kürze ist er 95! Computer, Laptop und dergleichen sind ihm als Arbeitsmittel fremd."

KNA

17.03.2022 - Aufarbeitung , Missbrauch , Papst