Überraschung im Landtag

Mahnungen und Kritik nach Wahl des Thüringer Ministerpräsidenten

Von mahnenden Worten bis zu großem Entsetzen reichen die Reaktionen auf die Wahl des FDP-Politikers Thomas Leonhard Kemmerich (54) zum neuer Thüringer Ministerpräsidenten. Der Landtag wählte den Katholiken am Mittwoch überraschend zum Nachfolger von Bodo Ramelow (Linke). Von den 90 abgegebenen Stimmen entfielen bei einer Enthaltung im dritten Wahlgang 45 auf Kemmerich und 44 auf Ramelow. Er ist der zweite FDP-Ministerpräsident in der Geschichte der Bundesrepublik.

Der katholische Erfurter Bischof Ulrich Neymeyr sagte auf Anfrage: „Die Aufgabe eines Ministerpräsidenten besteht auch darin, das Land zusammenzuhalten. Das ist umso wichtiger, da die Gesellschaft in Thüringen nicht nur pluralisiert, sondern polarisiert ist.“ Ein Ministerpräsident müsse „für alle da sein“, mahnte der Bischof. Er äußerte die Hoffnung, dass Kemmerich trotz der schwierigen Mehrheitsverhältnisse zusammenführend wirken könne. Er habe dem FDP-Politiker zur Wahl seine Segenswünsche übermittelt.

Der Präsidenten des Zentralrats der Juden in Deutschland, Josef Schuster, äußerte sich „entsetzt, dass sich der Landes- und Fraktionschef der FDP in Thüringen mit den Stimmen der AfD zum Ministerpräsidenten hat wählen lassen.“ Damit verlasse die FDP den „Konsens der demokratischen Parteien“, nicht mit der AfD zusammenzuarbeiten oder auf die Unterstützung der Rechtspopulisten zu zählen. „Der Vorgang in Thüringen ist besonders schockierend, da die freidemokratische Partei die politische Heimat des früheren Zentralratspräsidenten Ignatz Bubis war“, sagte Schuster.

Der frühere langjährige Leiter des Katholischen Büros Erfurt, Winfried Weinrich, reagierte skeptisch auf die Wahl: „Das ist ein Pyrrhussieg und wird wohl von kurzer Dauer sein.“ Mit Blick auf eine mögliche von der AfD unterstützte schwarz-gelbe Minderheitsregierung sagte er: „In Thüringen haben sich in den 1920er Jahren bürgerliche Parteien in Abhängigkeit von nationalistischen Parteien gegeben - das war nicht gut.“ Weinrich leitete von 1991 bis 2017 das Katholische Büro in Erfurt, die Verbindungsstelle der Bistümer Erfurt, Dresden-Meißen und Fulda zur Landespolitik. Er kenne Kemmerich persönlich, sagte Weinrich: „Er ist kein Zählkatholik, sondern durchaus in der Kirche verwurzelt und ein praktizierender Katholik.“

Kemmerich leistete den Amtseid nach der Wahl zum Ministerpräsidenten mit der freiwilligen Zusatzformel „So wahr mir Gott helfe“. Vor der Landtagswahl im vergangenen Oktober hatte sich der FDP-Spitzenkandidat kritisch zum Kirchenasyl geäußert, „weil es gerade im Zusammenhang mit der Migrationspolitik in das Justizmonopol des Staates eingreift“.

Kemmerich ist verheiratet und hat sechs Kinder. Er wurde am 20. Februar 1965 in Aachen geboren. Dort besuchte er das bischöfliche Pius-Gymnasium. Er absolvierte eine kaufmännischen Lehre im Groß- und Einzelhandel und studierte parallel Rechtswissenschaften bis zum ersten juristischen Staatsexamen. Anschließend war er Unternehmensberater, 1989 kam er nach Erfurt. Er ist Vorstandsvorsitzender einer Thüringer Friseur-Kette.

Bereits von 2009 bis 2014 war Kemmerich Mitglied des Landtages Thüringen, seit 2015 auch Landesvorsitzender Landes-FDP. Von 2017 bis 2019 gehörte er dem Bundestag an und wurde danach Fraktionsvorsitzender seiner Partei im Thüringer Landtag. Die FDP war mit 5,0 Prozent wieder in das Landesparlament eingezogen.

KNA

06.02.2020 - Deutschland , Personalien , Politik