Missbrauchsstudie:

Bistum Osnabrück missachtete Betroffene

Im Bistum Osnabrück haben Verantwortliche einer Studie zufolge jahrzehntelang nicht pflichtgemäß auf Hinweise zu sexuellem Missbrauch reagiert. Bis in jüngste Zeit seien etwa aus dem Amt entfernte beschuldigte Kleriker zum Teil nachlässig kontrolliert worden, heißt es in der am Dienstag vorgestellten Studie der Universität Osnabrück. Verbessert werden muss nach Angaben des juristischen Projektleiters Hans Schulte-Nölke vor allem die Kommunikation mit Betroffenen.

Dem seit 1995 amtierenden Bischof Franz-Josef Bode bescheinigt die Studie Pflichtverletzungen "im niedrigen einstelligen Bereich", sagte Schulte-Nölke. Sie seien "fahrlässig, aber nicht vorsätzlich" gewesen. Zudem habe Bode 2010 zwar eine bundesweit aufsehenerregende Bitte um Vergebung ausgesprochen. Sein dabei gegebenes Versprechen, alle Möglichkeiten der Hilfen für Betroffene auszuschöpfen, sei in den Folgejahren aber nicht umgesetzt worden.

In einer ersten Reaktion zeigte sich Bode selbstkritisch: "Jetzt beschäftigt es mich sehr, wie blind wir eigentlich gewesen sind und wie blind ich gewesen bin für das Leiden und die Perspektiven der Betroffenen." Dafür und für das System im Bistum trage er Verantwortung. Am Donnerstag will sich der Bischof vor der Presse eingehend zum Inhalt der Studie äußern. Die 1,3 Millionen Euro teure Untersuchung hatte das Bistum in Auftrag gegeben.

Die Diözese hat laut dem 600 Seiten starken Zwischenbericht des Forschungsprojekts zu sexualisierter Gewalt noch über das Jahr 2000 hinaus "teils schwerwiegend gegen die Pflichten" zur Verhinderung weiterer Straftaten verstoßen. Lange Zeit seien "Geheimhaltung" und "die Verhinderung von Bekanntwerden" erkennbar "handlungsleitende Motive" der Verantwortlichen gewesen, erklärte die zweite Projektleiterin der Studie, die Historikerin Siegrid Westphal. Dies gelte vor allem für die Zeit unter den Bischöfen Helmut Hermann Wittler (1957-1987) und Ludwig Averkamp (1987-1994). In den vergangenen Jahren habe es nur noch wenige Verstöße gegen Aufsichts- und Interventionspflichten gegeben.

Für den ersten Teil der Studie analysierten die Forscher 16 anonymisierte Fallbeispiele - 15 Priester und einen Diakon - ausführlich, erläuterte Westphal. Insgesamt gebe es nach derzeitiger Aktenlage ungefähr 90 Beschuldigte, von denen 50 Fälle bereits bearbeitet seien.

Im zweiten Teil des auf drei Jahre angelegten Projekts soll das gesamte Ausmaß sexualisierter Gewalt im Bereich der Diözese seit 1945 ermittelt werden. Dafür wollen die Forscher Akten auswerten und, soweit möglich, Betroffene und Zeitzeugen interviewen.

Vor allem aber wollten die Forscher auf jene Menschen in Gemeinden und Nachbarschaften achten, die einen Verdacht hatten, aber nichts unternahmen, sagte Westphal: "Wie waren Bedingungen? Warum wurde verschwiegen, geschützt, vertuscht?" Auf diese Weise hoffe man, auch das Dunkelfeld bei den insgesamt 2.800 Klerikern, die das Bistum seit 1945 hatte, aufzuhellen.

Karl Haucke, als Betroffener sexualisierter Gewalt Mitglied in der Steuerungsgruppe des Forschungsprojekts, forderte das Recht auf Akteneinsicht für jeden Betroffenen - "unabhängig vom kirchlichen Datenschutz". Deren Anliegen sei es, "im günstigsten Fall Gerechtigkeit zu erhalten" und die Öffentlichkeit aufzuklären.

KNA

21.09.2022 - Bischöfe , Bistum , Missbrauch