Unesco-Weltkulturerbe Matera

Christus kam nicht nur bis Eboli

Schon immer war Italien zweigeteilt. Der Norden mit seinen wichtigen Städten florierte, der unterentwickelte Süden galt als Armenhaus. Recht gut ging es auch den Bewohnern von Eboli, einem landwirtschaftliches Zentrum in der Region Kampanien. Ein solches hatte die Region Basilikata nicht zu bieten. „Viel Steine gab’s und wenig Brot“, hieß es dort. 

Höhlenwohnungen, Sassi genannt, gegraben in den relativ weichen Kalkstein, prägen nach wie vor Materas Altstadt. Rund 20 000 Menschen lebten dort im Sasso Caveoso und dem Sasso Barisano bis hinauf zur Kathedrale, die im 13. Jahrhundert auf einem Plateau errichtet wurde. 

In diese karge Gegend wurden Regierungkritiker verbannt, im Jahr 1935 auch der antifaschistische Turiner Arzt und Maler Carlo Levi. Etwa ein Jahr verbrachte er im Dorf Aliano und lernte von den armen Bauern den Spruch „Christus kam nur bis Eboli“. Genau so betitelte er später sein Buch, in dem er auch das Leben in den Sassi von Matera schilderte. 

Jesu Geburt in der Höhle

„In diesen schwarzen Löchern, Wände aus Erde, sah ich die Betten, die ärmliche Ausstattung, ausgebreitete Lumpen. Auf dem Fußboden lagen die Hunde, die Schafe, die Ziegen, die Schweine. Jede Familie hatte, im allgemeinen, eine einzige jener Höhlen als gesamte Wohnung, und sie schliefen alle zusammen.“

„Christus kam nur bis Eboli“ hieß dann auch der Film, den Francesco Rosi 1979 nach Levis Buch drehte. Doch schon vor ihm hatte Pier Paolo Pasolini Christus bis nach Matera gebracht und im Jahr 1964 dort sein „Matthäus-Evangelium“ gedreht. Jesu Geburt verlegte er in eine Höhlenwohnung. 

„Schande Italiens“

Allerdings galten die bereits in der Altsteinzeit genutzten Felsenhöhlen schon länger als „Schande Italiens“. Nach einer Order von Ministerpräsident Alcide de Gasperi mussten die immer noch 15 000 Bewohner ihre Höhlen in den 1950er Jahren räumen und in neu gebaute Häuser umziehen. Pasolini filmte also in einer gespenstigen Szenerie.

Ab 1967 ließ der Staat die leeren Höhlenwohnungen aufwendig restaurieren. Eine uralte Siedlungsform wurde auf diese Weise erhalten und Matera 1993 ein Unesco-Weltkulturerbe. Frischwasser- und Stromleitungen legte man in die sanierten Höhlen, doch nicht alle früheren Bewohner wollten trotz 50 Prozent Staatsbeihilfe in die engen Höhlen zurückkehren. Die dienen nun als kleine Museen, Cafés und Souvenirläden und werden an Feriengäste vermietet. Sogar Nobelhotels sind in den Sassi entstanden. 

Beliebte Filmkulisse

Diese Entwicklung verdankt Matera auch der Wahl zur Kulturhauptstadt Europas 2019, was internationale Aufmerksamkeit erregte. Die ARD und andere Sender drehten Dokumentarfilme. Die Touristen kamen in Scharen, und nach wie vor ist Matera ein Magnet. Auch die Regisseure sind Matera treu geblieben und haben erneut Bibelfilme in Szene gesetzt. Mel Gibson drehte dort schon 2004 „Die Passion Christi“.  „Die Architektur der Stadt, die Felsen – als ich Matera das erste Mal sah, hab ich schier den Kopf verloren“, bekannte Gibson später.  

Per saldo wurden in Matera seit Pasolini mehr als 50 Filme oder Szenen gedreht. „Maria Magdalena“ entstand 2018, „Das neue Evangelium“ 2020. Sogar James Bond hat für „Keine Zeit zu sterben“ Materas Einzigartigkeit genutzt. 

Besucher tun das auf ihre Weise. Kunstliebhaber zieht es in die Mu­seen, wo Werke aus dem Mittelalter, der Moderne und auch Bilder von Carlo Levi zu sehen sind. Andere buchen Höhlenführungen und solche zu den Felsenkirchen.

Den Tages-Touristen scheint bei Speis’ und Trank der Blick auf Materas sonnige „Sassi-Landschaft“ vollauf zu genügen. Wer jedoch mehr von Materas Historie erspüren will, geht auf recht steilen Wegen und teils rutschigen Treppen zwischen den Höhlenwohnungen hinab zur Talsohle. 

Gegenüber führen dann Wege
hinauf zur Kathedrale Santa Maria della Bruna. Auf dem höchsten Punkt der Stadt wurde sie im Stil der apulischen Romanik errichtet. Drinnen hat man sie prächtig und eher barock ausgestattet. Matera-
Irsina ist Erzdiözese, und diese Kathedrale ist ihr Bischofssitz. Am 2. Juli 1962 ernannte sie Papst Johannes XXIII. zur Basilica minor. 

Neben der Kathedrale schaut gerade eine Schulklasse hinunter auf das Höhlenhäusergewirr. Die ist per Bus auf einer zum Domplatz führenden Straße angereist. Wer auf und ab (oder umgekehrt) wandert, hat Matera, eine der ältesten Städte der Welt, unter den Füßen und pilgert ein bisschen durch die Jahrtausende. 

Ursula Wiegand

06.04.2023 - Film , Historisches , Italien