Generalvikar Michael Fuchs

„Fasten ist eine Neuausrichtung des ganzen Menschen“

Zur österlichen Bußzeit, der 40 Tage dauernden Vorbereitung auf Ostern, hat die Katholische SonntagsZeitung Generalvikar Michael Fuchs um ein Interview gebeten.

Herr Generalvikar, mit dem Aschermittwoch hat für die Christen wieder die 40-tägige Fastenzeit begonnen. Zeiten des Fastens gibt es auch in anderen Religionen. Auf welchen Grundlagen basiert die christliche Tradition des Fastens?

Als Christen versuchen wir Christus nachzuahmen, der 40 Tage und Nächte in die Wüste fastete, bevor er sein öffentliches Wirken begann (Mt 4). Und wir nehmen damit eine Übung auf, die für die Juden selbstverständlich war und die Jünger Jesu kannten und durch zwei Jahrtausende weitergaben.
Schon im Alten Bund ist vom Fasten die Rede, und es ist oft mit dem Gebet verbunden, mit Umkehr und Besinnung. Denken wir nur an die Stadt Ninive, die auf die Warnung Jonas hin zu Gott umkehrt und in Gebet und Fasten um Vergebung bittet.
Die alten Propheten haben jedoch ein rein äußerliches Fasten scharf kritisiert – Jesaia etwa lässt Gott ausrufen: „Obwohl ihr fastet, gibt es Zank und Streit ... Das ist ein Fasten, wie ich es liebe, die Fesseln des Unrechts zu lösen ...“ (Jes 58). Zum Fasten gehört daher auch, den Kopf zu heben und den Schwachen und Rechtlosen zu sehen. Damit ist das Fasten im jüdisch-christlichen Sinn eine Neuausrichtung des ganzen Menschen, seines Leibes, seines Gebetes und seiner Beziehungen.
Viele Orden und geistliche Gemeinschaften halten einen oder mehrere Fasttage vor großen Festen, gleichsam als inneres „Leerwerden für Gott“ (vacare deo), der uns ein Leben in Fülle schenken will. In den letzten Jahren wird das Fasten auch von manchen christlichen Gruppen neu entdeckt, und damit ist kein medizinisches Heilfasten oder Gewichtsabnehmen gemeint: Vor wichtigen Entscheidungen oder Momenten des Lebens beten sie nicht nur, sondern fasten auch.

Wie würden Sie den tieferen Sinn der Fastenzeit beschreiben?

Geschwindigkeit zerstört den Weg. Jeder Mensch muss mal den Fuß vom Gas nehmen, um mehr zu sehen. Nicht nur unser Leib, sondern auch unsere Seele braucht immer wieder eine Zeit der Rekreation, der Besinnung auf das Wesentliche unseres Glaubenslebens.
Das Evangelium vom Aschermittwoch aus der Bergpredigt Jesu gibt uns dabei die Richtung für diese nötige Umkehr vor und lädt uns ein zum Beten, Almosen geben und Fasten. Hier klingen die drei Dimensionen der Gottesliebe, der Nächsten- und der Eigenliebe an. Tiefer beten, dem Nächsten helfen und weniger konsumieren: So bereiten wir uns sinnvoll auf Ostern vor, weswegen die Fastenzeit jetzt zu Recht auch „österliche Bußzeit“ heißt. Die Osterbeichte – eine wunderschöne Bezeichnung! – hilft uns dabei, nicht in eine religiöse Hochleistungs-Mentalität zu verfallen, sondern auf den auferstandenen Christus zu vertrauen, der uns umkehrt und neu ausrichtet. Und sie macht etwas anderes wirksam, was nicht nur diese Zeit im Jahr, sondern unser ganzes Leben prägen soll: dass wir durch die Taufe eingetaucht wurden in die Hoffnung auf Auferstehung.

In der heutigen katholischen Fastenordnung begegnen einem Fasttage und Abstinenztage. Können Sie den Unterschied erklären?

Der Verzicht auf Speisen und Getränke hat in den kirchlichen Vorschriften nicht mehr das Gewicht von früher. Andererseits kommen manche neuen Ernährungstrends, etwa bei extremen Veganern, mit einer pseudoreligiösen Härte daher. Unsere Regeln für das „Beten des Leibes“ klingen da milde: 40 Tage lang zurückfahren mit Genussmitteln wie Alkohol und Gaumenfreuden, an den Freitagen kein Fleisch essen oder ein anderes Opfer bringen und an zwei Tagen (Aschermittwoch und Karfreitag) kein Fleisch (Abstinenz) und sich nur einmal satt essen (Fasten).
In den christlichen Ostkirchen ist es da noch strenger: In der längeren Fastenzeit (häufig 50 oder 60 Tage) soll ganz auf tierische Produkte verzichtet werden. Dort gilt übrigens ganzjährig neben dem Freitag auch der Mittwoch nach altchristlicher Tradition als Fasttag. Wer christliche Flüchtlinge in der Pfarrei hat, kann sie mal danach fragen und wird staunen über etwas andere „Fastenspeisen“.

Haben Sie eine Empfehlung zur bewussten Gestaltung der Fastenzeit?

Die eine Empfehlung für alle gibt es da nicht, jeder wird selber seinen Weg durch die vielen Anregungen finden. Eine große Hilfe für alle, die biblische Impulse zur Neuorientierung suchen, sind die Lesungen der Fastensonntage und auch der Werktage oder die Lektüre der Leidensgeschichte Jesu in einem der vier Evangelien. Schön finde ich auch die Anregungen der Katholischen Sonntagszeitung zu den Lesungen mit dem Titel „Die Bibel leben Tag für Tag“.
Viele Gläubige nutzen die Zeit für Exerzitientage oder für die Impulse der „Exerzitien im Alltag“, die es inzwischen auch per WhatsApp gibt. Eine wertvolle Anregung sind Passionsspiele, die in letzter Zeit wieder großen Zulauf haben. Andere nehmen die Aufrufe der päpstlichen Hilfswerke und der Caritas an und helfen mit, dass andere helfen können.
In vielen Pfarreien gibt es besondere Angebote, etwa Frühschichten, ein Passionssingen oder das klassische Gebet des Kreuzweges, der uns die unendliche Liebe Jesu angesichts der vielfältigen menschlichen Bosheit ausfaltet und im Regensburger Gotteslob gleich in zwei Ausführungen zu finden ist (683 und 934). Vielerorts wird der Jugendkreuzweg gebetet. Und wer allein beten möchte, kann sich auch an den „Marterln“ eines steinernen Kreuzweges hinaufziehen lassen.

Interview: Stefan Mohr