Christentum und heidnischer Kult

Wahre Tugend nur bei Märtyrern

Aurelius Prudentius Clemens wurde 348 nach Christus in Spanien geboren und entstammte wahrscheinlich einer christlichen Familie. Volljährig geworden, studierte er Rhetorik und Recht und arbeitete 20 Jahre lang als Anwalt. Gönner und seine gute Amtsführung machten den Kaiserhof in Byzanz auf ihn aufmerksam, sodass er in den Kreis der engsten Berater rückte. 

Nach einiger Zeit wurde Prudentius bewusst, dass sein irdisches Leben begrenzt ist und politische Tätigkeit nichts mit Gott zu tun hat. Er verzichtete auf seine Karriere, zog sich zurück und beschäftigte sich bis zu seinem Tod um das Jahr 405 nur noch mit der dichterischen Verarbeitung christlicher Themen. Innerhalb von drei Jahren verfasste er sein umfangreiches Werk, in dem er den heidnischen Kult verurteilt und den christlichen Glauben verteidigt.

Besonders bedeutsam ist das „Peristephanon“, eine Sammlung aus 14 Märtyrerhymnen. Prudentius hatte in einem einjährigen Rom­aufenthalt die Sehenswürdigkeiten der Stadt kennengelernt und die Märtyrerakten erforscht. Durch die Gestaltung des „Peristephanon“ wollte er heidnische Kulte mit dem Christentum verbinden und Rom dabei eine bedeutende Rolle zuweisen.

Neue Werte – alte Form

In der vorchristlichen Zeit galten Staat und römischer Adel durch Götterkulte geschützt. Im Zuge der Christianisierung erlaubten die christlichen Staatsmänner die heidnischen Kulte nicht mehr. Prudentius wollte die traditionellen Werte und das christliche Weltbild vereinigen. Dies erreichte er durch die Märtyrerhymnen des „Peristephanon“. Nicht nur ihre zum Teil militärisch geprägte Sprache und ihre gezielt an Horaz oder Vergil angelehnten Metren erinnern das gebildete Publikum an Bekanntes. Auch kulturell leitende Begriffe, wie virtus (höchste Tugend), gloria (Ehre) und die Stoa als Philosophie des Adels, finden Eingang. 

Doch Prudentius wendet das Bild: Nicht der römische Adel entspricht dem Ideal der virtus, sondern die Märtyrer, diese sterben sogar – ähnlich der stoischen Idealvorstellung – für das sittlich Gute. Auch die praktische Ausübung des Märtyrerkults erinnert an römisch-heidnische Gewohnheit: Den Menschen ist Gutes verheißen, wenn sie die Kulte und besonders die Feiertage einhalten.

Petrus und Paulus

Der Hymnus auf die Apostel Petrus und Paulus ist eine Besonderheit: Nicht die Hinrichtungen werden ausführlich geschildert, sondern vielmehr die Verehrung beider Heiliger. 

Am 29. Juni wurde Petrus der Legende nach unter Nero gekreuzigt. Er bewies – so Prudentius – bei seiner Hinrichtung „wahre Geistesgröße“, da er sich, sozusagen doppelt erniedrigt, mit dem Kopf nach unten kreuzigen ließ. Ein Jahr später, am selben Tag, wurde Paulus, der „Völkerlehrer“, unter Nero durch das Schwert hingerichtet. Nach dieser auffallend kurzen und unspektakulären Darstellung geht Prudentius nahtlos zur Beschreibung der beiden Grabkirchen über.

Petrus liegt rechts des Tibers unter einem goldenen Dach – Kaiser Konstantin ließ bereits 326 nach Christus über dem Grab den ersten Petersdom errichten. Dort fließt ein Gewässer und ein Olivenbaum liefert das Öl für das Chrisam. „Heutzutage plätschert das Wasser über kostbaren Marmor“, schreibt Prudentius, über dem Wasserbecken gibt es ein farbiges Deckenbild, das sich im Wasser spiegelt und beeindruckende Effekte erzeugt: „Die Decke tanzt auf den Fluten.“ Ein Hirte, der Papst, erquickt seine Herde mit dem Wasser Christi.

Das Paulusgrab liegt am linken Tiberufer „auf dem Weg nach Ostia“ und ist eine Kirche von „fürstlicher Pracht“. Die Holzbalken des offenen Dachstuhls sind vergoldet, damit das Licht innen wie ein Sonnenaufgang erscheint. Die Decke wird durch parische Säulen in Viererreihen gestützt. Bauchige Bögen schimmern durch grünen Schmuckstein.

Das Volk, „die Menge des Romulus“, strömt zur Verehrung zu beiden Kirchen. Der Bischof verrichtet erst die Opfer jenseits des Tibers, dann auf der anderen Seite. Der Hymnus endet mit einem Appell: Nachdem das Publikum die Verehrung in Rom so gelernt hat, soll es sie zuhause fortführen.

Sakrale Gedächtnisstätte

Eine wichtige Rolle weist Prudentius der Stadt Rom zu. Entgegen antiker Religion und Kulte war das frühe Christentum weniger an einen Ort gebunden. Wieder eint Prudentius alten und neuen Glauben: Auf Vergils „Aeneis“ anspielend, in dem die Religion durch die Penaten von Rom aus weitergegeben wird, verbreitet Rom auch das Christentum: Die neben Jesus Christus maßgeblichen Begründer des christlichen Glaubens, die Apostel Petrus und Paulus, sind in Rom physisch durch ihre Reliquien vorhanden und machen aus Rom einen sakrale Gedächtnisstätte.

Auch heute noch ist Rom die zentrale Stätte der Verehrung beider Heiliger. Die Grabkirchen gibt es immer noch. Das Grab des Petrus ist der heutige Petersdom, dessen Altar sich genau über der Ruhestätte des Apostels befindet. Das Grab des Paulus ist ebenfalls erhalten und eine der Papstbasiliken. Wie auch Prudentius schon schreibt, liegt sie zwischen der heutigen Via Ostiense und dem Tiber. Sie war die einzige noch erhaltene antike Großkirche Roms. 1823 von einem Brand schwer beschädigt, wurde sie verändert wieder aufgebaut. 

Für die katholische Kirche ist der 29. Juni bis heute ein wichtiger Tag. Die Römer haben arbeitsfrei und feiern Gottesdienste. Außerdem segnet und überreicht der Papst an diesem Tag aus der Wolle zweier Lämmer gewebte Pallien den im vergangenen Jahr ernannten Erzbischöfen. In vielen Diözesen der römisch-katholischen Kirche findet die Spendung des Weihesakraments statt.

Lydia Schwab