Die Becak-Fahrer von Yogyakarta

Auf dem Dreirad Geld verdienen

Ihre Zahl hat durch den immer stärker motorisierten Verkehr in den zurückliegenden Jahren zwar deutlich abgenommen. Doch in zahlreichen Städten Indonesiens prägen Becaks das Straßenbild noch immer. Als Becak (sprich: Betscha) bezeichnet man ein pedalgetriebenes Fahrzeug mit drei Rädern. In Europa ist es besser unter seinem japanischen Namen bekannt: Rikscha. 

Das Wort „becak“ entstammt einem chinesischen Dialekt und bedeutet so viel wie Kutsche. Kurz vor dem Zweiten Weltkrieg eingeführt, hat das Becak als Massentransportmittel rasch weite Verbreitung gefunden. Vor allem in kleinen und mittelgroßen Städten ruhte der Kurzstreckenverkehr lange Zeit auf den etwas sperrigen Vehikeln. Die meisten Metropolen haben ihnen aber den Kampf angesagt. 

Zu sorglos ist der Fahrstil, zu hoch die Unfallrate und zu groß die Behinderung des motorisierten Verkehrs – so argumentieren die Stadtverwaltungen. Tatsächlich hat nicht einmal jeder zweite Becak-Fahrer eine Fahrerlaubnis. Jakarta hat die Dreiräder schon vor Jahrzehnten ganz von den Straßen verbannt. In anderen Städten wurden Verbots­zonen geschaffen oder es werden nur jeweils für die Tages- oder Nachtstunden gültige Teilgenehmigungen ausgestellt.

Eine wichtige Ausnahme macht Yogyakarta, das wirtschaftliche und kulturelle Zentrum Mitteljavas und mit rund 1,3 Millionen Einwohnern eine der zehn bevölkerungsreichsten Städte des indonesischen Archipels. Dort sind nach wie vor alle Stadtteile für den Becak-Verkehr freigegeben: die der Reichen im Osten ebenso wie die ärmeren Viertel entlang der drei Flüsse, die durch die Stadt fließen. 

Die Einwohner von Yogya, wie man die Stadt salopp nennt, schätzen es, im Becak ohne Wartezeiten mindestens doppelt so schnell wie zu Fuß und dabei relativ komfortabel ans Ziel gebracht zu werden. Freilich wird auch in Yogyakarta das Busnetz immer dichter. Mit jedem neuen öffentlichen Fahrzeug, das in Dienst gestellt wird, schätzt man, gehen 15 bis 40 Arbeitsplätze auf dem Dreirad verloren. 

Gnadenfrist für Becaks

Dennoch scheint den Becaks in dieser Stadt eine Gnadenfrist eingeräumt zu sein. Nach der letzten Zählung arbeiten in Yogyakarta etwa 25 000 Becak-Fahrer. Die Arbeit auf dem Rad kostet viel Kraft. Daher wundert es nicht, dass die meisten Fahrer zwischen 20 und 30 Jahre jung sind. Der typische Fahrer stammt vom Lande, hat beim Umzug in die Stadt keine passende Arbeit gefunden und sich aufs Becak gesetzt, weil Radfahren immer noch besser ist, als arbeitslos zu sein.

Das Sozialprestige der Fahrer ist schillernd. Einerseits gelten ihr Job und die damit verbundenen Lebensumstände allgemein als hart, ja gnadenlos. Drei von vier Fahrern würden lieber heute als morgen den Sattel verlassen und mit einem bequemeren Arbeitsplatz, am besten einer Anstellung beim Staat, tauschen. Keiner möchte, dass seine Kinder auch einmal in die Becak-­Pedale treten müssen. 

Der Berufswechsel scheitert jedoch in den meisten Fällen an der mangelnden Qualifikation. Dazu kommt die schwierige finanzielle Situation. In jeder dritten Familie sind die Fahrer Alleinverdiener. Nur zwei Drittel wohnen mit der Familie zusammen, die anderen sehen Frau und Kinder nur ab und zu. Nach einer älteren Studie müssen fünf Prozent sogar in ihrem Fahrzeug schlafen.

Zwölf Stunden im Sattel

Trotzdem halten es viele sehr lange in dem harten Job aus: Jeder Dritte tritt zwölf Jahre oder länger in die Pedale. Die meisten arbeiten täglich, also werktags wie sonn- und feiertags, durchschnittlich sieben bis zwölf Stunden. Jeder Zehnte sitzt sogar mehr als zwölf Stunden auf dem Sattel. In den Hauptverkehrszeiten stoßen noch die Rentner und Pensio­näre dazu, die sich ein Zubrot verdienen wollen. 

Abgesehen davon, dass die meisten Fahrten von der Wohnung zum Arbeits- oder Ausbildungsplatz führen, lockt das große Geschäft an den Abenden und Wochenenden, wenn die Kunden ins Kino, in den Zoo oder zu Verwandten und Bekannten gebracht werden wollen. An Samstagen und Sonntagen werden jeweils 25 Prozent der Wocheneinnahmen gemacht. 

In Yogyakarta sind etwa 5000 Becaks im Einsatz. Ihr Anteil am Fahrzeugbestand beträgt nur fünf Prozent, der am Verkehrsaufkommen ist höher. Die meisten Becaks werden täglich für vier bis neun Fahrten eingesetzt. Im Durchschnitt werden zwei bis drei Kilometer zurückgelegt. Nach einer halben bis maximal einer Stunde Wartezeit kann der Becak-Fahrer mit dem nächsten Kunden rechnen.

Billig ist die Fahrt mit dem Becak keineswegs. Für zwei Kilometer bezahlt man durchschnittlich 16 000 Rupien, etwa einen Euro. Doppelt so viel kostet den Fahrer die Miete seines Rads – täglich. Nur jeder Achte kann das Fahrzeug sein eigen nennen. Die anderen besorgen sich ihr Arbeitsgerät bei dem Verleiher, mit dem sie geschäftlich zusammengeschlossen sind. Der Name der Firma findet sich auf den Schutzblechen der Becaks – neben Stoffmustern, Bildern von Schiffen und Flugzeugen und Szenen aus der Natur.

Es ist nicht viel, was den Fahrern nach Abzug der Unkosten von den Tageseinnahmen bleibt. Außerdem müssen sie für schlechte Zeiten, vor allem für unfall- oder krankheitsbedingten Einnahmeausfall, selbst vorsorgen. Jeder zehnte Becak-Lenker ist chronisch krank. Viele leiden unter Hepatitis, Tuberkulose oder tropischen Augenkrankheiten. Am besten ist jener dran, der viele Stammkunden hat. Anfänger tun sich dagegen schwer. 

So bleiben Auseinandersetzungen mit den Kollegen beim Werben um Fahrgäste nicht aus. Meinungsverschiedenheiten mit den Passagieren über den Preis sind hingegen die Ausnahme. Die meisten Fahrgäste gehören ohnehin der Mittel- und Oberschicht an. Eine kinderreiche Familie aus einem der feinen Stadtviertel von Yogyakarta bringt es gut und gern auf zehn bis 20 Fahrten mit dem Becak – und zwar Tag für Tag.

Werner Golder 

10.11.2023 - Ausland , Verkehr