Es sind sich einig: Ohne dieses Gewerbe sähe eine Stadt wie München anders aus. Ein ehemaliger Dombaumeister präzisiert, dass für den gewaltigen Dachstuhl der Frauenkirche 630 Festmeter Rundholz in die bayerische Metropole geschafft werden mussten. Auf welche Weise konnte das Baumaterial Ende des 15. Jahrhunderts in die Stadt gelangen? Es waren Flöße, die mit ihren Ladungen nicht nur den Baufortschritt in München sicherstellten.
Was heute viele als Gaudi-Gefährt kennen, ist eines der ältesten Verkehrs- und Transportmittel – wenn nicht das älteste überhaupt. Im Alten Testament ist zu lesen, dass König Salomon das Holz für seinen Tempelbau mit einem Floß gebracht wurde. Den schnellsten und kostengünstigsten Transport garantierte die Flößerei sowieso. Seit Anfang Dezember gehört das fast ausgestorbene Handwerk zum Immateriellen Weltkulturerbe der Unesco.
Martin Spreng, der Vorsitzende der Deutschen Flößer-Vereinigung, meint, die Flößerei sei weltweit ein Garant des Aufschwungs gewesen, etwa im Goldenen Jahrhundert in den Niederlanden. „Das Holz für den Aufbau der dortigen Städte im 17. Jahrhundert kam zum großen Teil aus dem Schwarzwald und wurde mit mehrere hundert Meter langen Flößen über den Rhein geliefert.“ Dampfmaschine und Eisenbahn hätten den rapiden Untergang dieses einst so bedeutenden Gewerbes eingeleitet.
„Heute versuchen Vereine in ganz Deutschland nicht nur, die Geschichte zu vermitteln, sondern auch das Handwerk“, erzählt Spreng, der an der Nagold im Nordschwarzwald zu Hause ist. Kurse im Floßbau sind dabei sozusagen die Königsdisziplin. Seine Kollegin Gabriele Rüth informiert: „Bei uns werden von Mai bis in den September noch täglich Flöße gebaut.“ Rüth leitet den Verein Flößerstraße im oberbayerischen Wolfratshausen, dem letzten Ort in Deutschland, in dem noch gewerbliche Flößerei betrieben wird.
Nicht ohne Stolz erzählt sie, dass man 2011 den Titel „Internationale Flößerstadt“ verliehen bekommen habe. „Unser Verein will mit Ausstellungen, Führungen, Vorträgen und Veröffentlichungen dazu beitragen, dass das Erbe der Flößer nicht in Vergessenheit gerät.“ Zum besseren Verständnis empfiehlt Gabriele Rüth einen Besuch an der Seitnerschen Floßlände. Es ist ein Termin für Frühaufsteher.
Morgens gegen sechs Uhr herrscht dort schon reges Treiben. Baumstämme, die an einer Böschung an der Loisach lagen, wurden bereits ins Wasser befördert. Junge Männer sind dabei, 18 rund 18 Meter lange Stämme miteinander zu verbinden. Dann werden kürzere Stämme quer darübergelegt und mit Metallschnallen befestigt. Im nächsten Schritt wird in der Mitte des Floßes ein Holzboden aufgebaut. Darauf montieren die Arbeiter mehrere Reihen Sitzbänke.
Mit Holzkeilen fixieren die Männer danach die drei Rudersäulen. An ihnen werden vorne zwei Ruder, hinten eines mit sogenannten Wieden flexibel eingehängt. Wieden werden aus den Ästen der Schneeballweide hergestellt und sind absolut reißfest. Einziges Werkzeug der Männer ist die Flößerhack’, eine Axt, die sich durch einen 90 Zentimeter langen Stiel auszeichnet. Jeder Handgriff sitzt – hier sind Profis am Werk. Was an der Floßlände Tag für Tag in der Früh geschieht, ist lebendiges Traditionshandwerk. Nachdem Bierfässer, Getränkekästen und Proviant an Bord gebracht worden sind, ist das Floß startklar.
Der Betrieb von Sepp Seitner ist eine von noch drei Flößereien in Wolfratshausen. Ihr Angebot: Ausflugsfahrten nach München. „Wir sind froh, dass wir nach der Corona-Pause wieder fahren dürfen“, freut sich der Senior, der nur noch selten am Ruder steht. Die Nachfrage sei direkt wieder da gewesen, sogar weltweit. „Wir haben Stammgäste, die Jahr für Jahr kommen.“ Ihren Höhepunkt hatte die Flößerei auf Loisach und Isar Mitte des 19. Jahrhunderts erreicht. Noch 1864 verzeichnete man in Wolfratshausen 5840 Flöße. Das war Rekord.
Seit 170 Jahren besteht der Familienbetrieb. „Dass es die Flößerei bei uns überhaupt noch gibt, ist meinem Großvater zu verdanken, einem echten Dickkopf“, erinnert sich Seitner. In den 1930er Jahren sollten die letzten Floßrechte gegen zum Teil hohe Abfindungen an die Elektrizitätswerke verkauft werden. Der Einzige, der nicht einwilligte, war der alte Seitner. Er setzte außerdem durch, dass der für den Kraftwerkbau angelegte Isarkanal durch die heute so beliebten Rutschen für Flöße befahrbar geblieben ist. Seit den 1950er Jahren ist die Isar nur noch zwischen Wolfratshausen, wo die Loisach mündet, und München für Flöße befahrbar.
„Flößerei ist harte Arbeit“
Da das Handwerk kein Ausbildungsberuf mehr ist, muss es im Betrieb erlernt werden. „Romantische Vorstellungen sollte man besser nicht mitbringen“, erklärt Sepp Seitner. „Die Flößerei ist und war immer harte Arbeit.“ Auch wenn heute die Gefahren aufgrund der Flussregulierungen praktisch bei Null liegen – „die drei Flößer tragen große Verantwortung für ihr 20-Tonnen-Wasserfahrzeug“. Früher barg jede Fahrt viele Risiken. Manchmal dauerte sie auch mehrere Tage. Legendär ist das Foto eines riesigen Deckels einer Braupfanne, der 1904 von Flößern aus Wolfratshausen von München nach Wien transportiert wurde.