Sexueller Missbrauch

Mertes bemängelt Aufarbeitung - Rörig weist Kritik zurück

Aus Sicht von Jesuitenpater Klaus Mertes sollte die katholische Kirche die Aufarbeitung von sexuellem Missbrauch unabhängigen Fachleuten übertragen. Trotz vieler Bemühungen sei es ihr in Deutschland bisher nicht gelungen, "eine unabhängige Aufarbeitung von sexuellem Missbrauch und dessen Vertuschung in der Kirche so auf den Weg zu bringen, dass sie auch von der Öffentlichkeit als unabhängig anerkannt wird", schreibt Mertes in der "Herder Korrespondenz" (Juli). Unter Aufarbeitung versteht man eine über die Grenzen der strafrechtlichen Verfolgung hinausgehende umfassende Analyse des Geschehenen.

Der Missbrauchsbeauftragte der Bundesregierung, Johannes-Wilhelm Rörig, wies dies als "destruktive Kritik" scharf zurück. Er betonte, es sei zudem "äußerst befremdlich", dass sie zu einem Zeitpunkt komme, an dem der Prozess noch nicht gestartet sei.

Mertes hatte unter anderem die Befürchtung geäußert, solange die Zusammensetzung der Aufarbeitungs-Kommissionen in letzter Verantwortung durch die Bischöfe selbst erfolge, würden "die Enttäuschungen und Verletzungen für die nächsten zehn Jahre fortwirken". Zugleich kritisierte er, dass in den Kommissionen die Opfer gleichzeitig in die Rolle von Klägern und Richtern kämen, was rechtsstaatlichen Prinzipien widerspreche.

Eine "wirklich unabhängige Aufarbeitung" des Missbrauchsskandals wäre nach Mertes' Worten möglich, wenn die Bischöfe und Ordensoberen "Macht und Kontrolle komplett an eine nicht-kirchliche Kommission abgäben". Ihr würden "in der Öffentlichkeit anerkannte Persönlichkeiten und führende Experten angehören", erklärt Mertes. "Sie müsste mandatiert werden, das Missbrauchsgeschehen in der katholischen Kirche zu untersuchen, interne Aufarbeitungsprozesse zu begleiten und auch ein Verfahren für Täter-Opfer-Ausgleiche bereitzustellen."

Mertes bemängelte ferner, dass die deutschen Bischöfe bei ihrer Missbrauchsstudie sowie bei den Schritten zu Aufarbeitung und Entschädigung stets vorgeprescht seien und anschließend die Orden "eingeladen" hätten, dem damit vorgegebenen Weg zu folgen. Eine echte Mitwirkungsmöglichkeit der Orden habe es nicht gegeben. Mertes machte 2010 als damaliger Leiter des Berliner Canisiuskollegs der Jesuiten Fälle von sexuellem Missbrauch bekannt.

Rörig hingegen erneuerte seine Bewertung von "einem historischen Schritt", den die Bischofskonferenz mit der Verabschiedung der Vereinbarung getan habe. Sie sei die erste Institution, die sich damit zu einer strukturellen Aufarbeitung verpflichte. Er habe mit den Beteiligten, dazu gehörten demnach auch Betroffene sowie ein Ordensvertreter, rund ein Jahr verhandelt.

Für eine Kommission, wie sie Mertes fordere, sei eine gesetzliche Grundlage notwendig. Dafür fehle es aber am "politischen Willen". Rörig ergänzte, auch die Orden seien an den Verhandlungen beteiligt gewesen. Eigenständige Verhandlungen mit der Deutschen Ordensoberenkonferenz beginnen am heutigen Dienstag.

KNA

23.06.2020 - Kirche , Missbrauch , Politik