Der blutige Hamas-Überfall auf Israel hat die ganze Welt schockiert. Der israelische Historiker Moshe Zimmermann ordnet den Terror im Interview ein und zeigt auf, in welcher Sackgasse der Friedensprozess in Nahost nicht erst seit der jüngsten Eskalation steckt.
Professor Zimmermann, nach dem blutigen Überfall der Hamas auf Israel verglichen viele Kommentatoren das Geschehen mit den Attentaten vom 11. September 2001. Wie sehr hat Sie der Terror-Angriff überrascht?
Selbstverständlich war ich überrascht. Nicht davon, dass die Hamas angegriffen hat, sondern davon, dass die israelischen Geheimdienste, die ja für besonders kompetent gehalten werden, nicht von diesem großangelegten Angriff Bescheid wussten. Ein auf so viele israelischen Ortschaften ausgeführter Überfall ist präzedenzlos. All das machte die Überraschung perfekt.
Wie konnte dieser Überfall überhaupt gelingen? Hat die Grenzsicherung komplett versagt oder hat man nicht ausreichend auf Warnungen gehört?
Wenn man kein Militärexperte ist oder nicht an die relevanten Informationen herankommen kann, muss man bei der Beantwortung dieser Frage äußerst bescheiden sein. Was aus der Sicht des militärischen Laien gesagt werden kann, ist Folgendes: Die Hamas hat sich gründlich vorbereitet, lernte die Schwachstellen im Abwehrsystem kennen und benutzte dazu die israelische Zuversicht, dass Israels High-Tech-Überlegenheit eine absolute Garantie für Sicherheit schafft. Israel hat auch einige Bataillone aus der Region in das Westjordanland verlegt, weil man dort den Siedlern und ihren Wünschen nachkommen wollte.
Die israelische Regierung kündigte eine harte Reaktion auf den Terror an, die den Nahen Osten auf viele Jahre verändern werde. Was erwarten Sie?
Große Worte sprechen israelische Regierungen auch bei kleineren Scharmützeln aus. Umso mehr in diesem Fall, wo die Katastrophe vom 7. Oktober so schwer lastet. Es ist zu erwarten, dass Versuche unternommen werden, Geiseln zu befreien, die Befehlshaber der Hamas zu töten und die militärische Infrastruktur der Terroristen – nicht nur der Hamas – zu vernichten. Das sind große Worte. Ob das israelische Militär alle Ziele erreichen kann, und zu welchem Preis, weiß ich nicht. Das wissen aber auch die Militärs nicht, die diese Operation vorbereiten.