Bombardierung durch die Amerikaner

Der Held von Montecassino

Am 15. Februar 1944 legen alliierte Bomben das Mutterkloster der Benediktiner auf dem Monte Cassino im Süden Italiens in Schutt und Asche. Dass das wertvolle Kunsterbe der Abtei überlebt, ist einem österreichischen Offizier der Wehrmacht zu verdanken: dem Wiener Julius Schlegel (1895 bis 1958). 

In weiser Vorahnung sorgt er dafür, dass viele einmalige Kunstschätze in Lkws der Wehrmacht per Konvoi abtransportiert und in der Engelsburg in Rom eingelagert werden. Da die eigenmächtige Rettungsaktion nicht als kriegswichtige Handlung zählt, riskiert Schlegel mit seinem Kunstdenkmalschutz einen Kriegsgerichtsprozess.

„Heroische Tat“

Als er stirbt, ehrt der Abt des Wiener Schottenstifts Schlegel mit den Worten: „In dieser Stunde, in der wir das, was an Dir sterblich war, der Erde übergeben, da ertönen die Glocken der Benediktinerabteien in aller Welt, um Deiner heroischen Tat zu gedenken, die nicht nur das Mutterkloster des Benediktiner­ordens vor unersetzlichen Verlusten bewahrt hat, sondern auch Beweis dafür war, wie sehr ein Mensch in schwerer Zeit und Bedrängnis imstande war, Gutes zu tun.“ 

Bereits im Ersten Weltkrieg gehörte Schlegel der Fliegertruppe an. 1939 wurde er als Offizier der Luftwaffe einberufen, nahm an Feldzügen in Afrika teil, am Westfeldzug und dem Kampf um Sizilien. Nachdem die deutsche Luftwaffe bei der Einnahme der Insel Kreta hohe Verluste zu verbuchen hatte, wurden auf Befehl Adolf Hitlers die Fallschirmjäger nicht mehr aus der Luft abgesetzt. Stattdessen sollten sie als Erdkampftruppe zum Einsatz kommen. 

So wird Julius Schlegel im Mai 1943 zur „Fallschirm-Panzer-Divi­sion Hermann Göring“ versetzt, die die Gustav-Linie zu verteidigen hat. Diese Verteidigungslinie in Mittelitalien, etwa 100 Kilometer südlich von Rom, soll die im süd­italienischen Salerno gelandeten und immer weiter gen Norden vorrückenden Alliierten aufhalten. Schlegel verfügt über ein ausgeprägtes Kunstverständnis und kennt einige der bedeutenden Kunstgegen­stände, die sich zu jener Zeit im Benediktinerkloster auf dem Monte Cassino befinden. So bittet er den Erzabt, die Kunstschätze in Sicherheit bringen zu dürfen. Die Bitte erregt das Misstrauen des Abtes, der die historischen Stücke – darunter auch solche Kunstschätze, die dem Orden aus Museen zur Aufbewahrung anvertraut wurden – in seinem Kloster in Sicherheit wähnt.

Festung auf dem Felsenhügel

Das 529 durch Benedikt von Nursia gegründete Kloster gleicht äußerlich einer Festung und liegt auf einem 516 Meter hohen Felsenhügel. Wo sollten die wertvollen Kulturgüter besser aufgehoben sein? Durch das Aufzeigen der militärisch schwierigen Lage um den heiligen Berg und dank des Zugeständnisses, dass beim Abtransport nach Rom einige Mönche mitfahren dürfen, stimmt der Erzabt einer Evakuierung schließlich zu.

Ohne Erlaubnis seines Vorgesetzten beginnt Schlegel mit seinen Kameraden, die Rettungsaktion zu organisieren. Auf den 120 Lkw-­Ladungen, die er sich während der laufenden Bergungs­aktion genehmigen lässt, befinden sich 70 000 Buchbände aus der Klosterbibliothek, 1200 einmalige Handschriften, beispielsweise von Cicero, Horaz, Ovid und Seneca, aber auch Urkunden, Statuen, Reliquien und Gemälde, darunter Werke von Leo­nardo da Vinci, Tintoretto, Tizian und Raffael. 

Propagandistische Lüge

Diese Rettungsaktion, bei der die Kunstgegenstände in Holzkisten verpackt werden, die teilweise erst noch gezimmert werden müssen, dauert vom 17. Oktober 1943 bis in den November hinein. Durch Spitzel bekommen die Alliierten Wind von dem Kulturgut-Transport. Diesen Vorgang nutzen sie propagandistisch, um am 23. Oktober über das Radio die Lüge zu vermelden: Die Deutschen plündern das Kloster Montecassino. 

Während die alliierten Truppen der Erzabtei immer näherkommen, werden die Kunstschätze in der Engelsburg in Rom in sichere Verwahrung genommen. Die Einlagerung organisiert der in Altötting geborene damalige Prior und Rektor der Benediktiner-Hochschule von Sant’Anselmo in Rom, der spätere Kurienkardinal Paul Augustin Mayer OSB (1911 bis 2010), im persönlichen Auftrag von Papst Pius XII.

Eine Trümmerlandschaft

Am 15. Februar 1944 geschieht, was Julius Schlegel befürchtet hat. In einer ersten Welle von Luft­angriffen gegen 9.30 Uhr werfen unzählige Kampfflugzeuge 257 Tonnen Sprengbomben und 59 Tonnen Brandbomben auf das Kloster ab. Bei einer zweiten Welle sollen es noch einmal 300 Tonnen Sprengstoff gewesen sein. So verwandelt die US-Luftwaffe die prächtige Anlage der „Mutter aller Klöster“ in eine Trümmerlandschaft. Hunderte Zivilisten sterben.

Dabei befindet sich kein einziger bewaffneter deutscher Soldat auf dem Klostergelände. Dies wurde sowohl vom Kloster selbst als auch vom Heiligen Stuhl den Alliierten vor der Bombardierung mitgeteilt. Der deutsche Oberbefehlshaber, Generalfeldmarschall Albert Kesselring, hat sogar eine soldatenfreie neutrale Zone von 300 Metern um das Kloster herum angewiesen. Das Betreten der Anlage durch bewaffnete Soldaten war ausdrücklich verboten. 

Außer den Mönchen befinden sich zur Zeit des Bombenhagels etwa 800 italienische Flüchtlinge aus den umliegenden Dörfern in den Klostermauern, versichert der damalige Soldat und spätere Franziskaner­pater Gereon Goldmann. Neben den Bataillonsärzten, die einige Male ins Kloster gerufen werden, um Frauen bei der Entbindung beizustehen, ist Goldmann der einzige Soldat im Kloster – mit Sondererlaubnis von Papst Pius XII. Drei Tage später hätte der Erzabt ihm nämlich die Priesterweihe gespendet. Dazu aber kommt es nicht mehr. 

Weil es sich um ein kirchliches Ziel handelt, stellen die alliierten Vorgesetzten ihren Piloten zwar frei, sich an dem Bombenangriff zu beteiligen. Zugleich werden die Männer aber unter Druck gesetzt – zum Beispiel durch die Vorhaltung, in den Tagen zuvor seien 2000 US-Soldaten von Deutschen getötet worden. Auch behauptet man, die Deutschen hätten das Kloster zu einer Festung und einem Artillerie-Stützpunkt ausgebaut.

Nach dem Krieg wurde die Abtei Montecassino in einer Rekordzeit von nur zehn Jahren wiederaufgebaut. Die Rekonstruktion der nahezu vollständig zerstörten Anlage konnte nur deshalb erfolgen, weil sich auch die Original-Baupläne unter den Kunstschätzen befunden hatten, die Julius Schlegel vor der Zerstörung rettete. Zur Einweihung der bis 1955 wiedererrichteten Erzabtei kam Papst Paul VI. persönlich angereist. 

Im Krieg ein Bein verloren

Schlegel, den die Italiener als Zeichen ihrer Dankbarkeit den „Held von Montecassino“ nennen, verlor während eines Jagdbomberangriffs in Italien ein Bein. Nach dem Krieg warfen ihm die Alliierten zunächst vor, das Kloster geplündert zu haben. Durch die Aussagen der Mönche entpuppte sich dies als völlig unbegründete Anschuldigung.

Zu cineastischem Ruhm gelangte Schlegels Einsatz zur Rettung der Kunstschätzte just in dessen Todesjahr. Der deutsche Regisseur Harald Reinl, der später durch die Winnetou-Verfilmungen bekannt werden sollte, drehte „Die grünen Teufel von Monte Cassino“. Zum Teil war Julius Schlegel bei den Dreharbeiten sogar dabei. Wenige Monate nach dem Kinostart starb er im August 1958 kurz vor seinem 63. Geburtstag in Wien.

Elmar Lübbers-Paal

13.02.2024 - Historisches , Krieg , Kunst