War er Opfer, Nutznießer oder Mitläufer? Stefan Heym zählt zu den bedeutendsten deutschen Autoren des 20. Jahrhunderts. Seine Rolle in der DDR ist bis heute umstritten, von der roten Diktatur hat er sich nach Ansicht von Kritikern nie eindeutig genug distanziert. In Chemnitz soll jetzt sein Werk aufgearbeitet werden.
Richtig bekannt wurde er im November 1989. Da hatte Stefan Heym auf dem Berliner Alexanderplatz seinen wohl wichtigsten Auftritt. Vor Hunderttausenden und mit poetischer Rhetorik sprach er der Friedlichen Revolution aus der Seele. Von „Mief“ und „Stagnation“ war da die Rede, und dass nach 40 Jahren Unterdrückung durch die SED endlich „Fenster aufgestoßen“ seien, um frische Luft zu atmen.
Viele Beobachter, auch im Westen, sahen in Heym damals den kommenden Mann der DDR, einen ostdeutschen Vaclav Havel mit Hornbrille und schütterem Haar, eine moralische Instanz wider die Diktatur. Einst hatte Heym für die US-Armee psychologische Kriegsführung betrieben, Flugblätter verfasst, und Wehrmachtssoldaten zum Überlaufen animiert. Aus seiner linken Gesinnung hatte der Sachse schon damals keinen Hehl gemacht.
Nun soll das Werk Stefan Heyms, unter anderem durch ein Digitalisierungsprojekt an der Technischen Universität Chemnitz, revitalisiert werden. In Heyms Geburtsort, der zu Zeiten der roten Diktatur Karl-Marx-Stadt hieß, kann man sich sogar für einen „Internationalen Stefan-Heym-Preis“ empfehlen lassen. Seine Bücher müssten „zurück in die Klassenzimmer“, heißt es in Chemnitz.
Keine Schullektüre mehr
Dass sie heute in keinem Bundesland mehr zur Pflichtlektüre an weiterführenden Schulen zählen, hat einen Grund: Fünf Jahre nach seinem Auftritt auf dem Alexanderplatz, den auch das westdeutsche Fernsehen gezeigt hatte, saß der parteilose Autor von Romanen wie „Collin“ und „Schwarzenberg“ (siehe Kasten) unverhofft im Deutschen Bundestag – ausgerechnet als Abgeordneter der einstigen DDR-Staatspartei SED, die sich nun PDS nannte. Heute firmiert sie als „Die Linke“.
„Wer Heym reanimiert, postlegitimiert die DDR und lässt ihre Verbrechen hinter einem Schleier des Nebulösen verschwinden“, kritisiert die Berliner Autorin und Filmemacherin Freya Klier, die zu den bekannteren Vertretern der früheren DDR-Opposition gehört. Nach Kliers Angaben stand Heym in Diensten des sowjetischen Geheimdiensts KGB. In der deutschen Öffentlichkeit sei das kaum bekannt, bedauert sie.
Das Maß war voll
Lange hatten selbst Wegbegleiter und Sympathisanten mit sich und Heym gehadert. Doch als der Schriftsteller am 10. November 1994 im Namen seiner Fraktion als Alterspräsident die Eröffnungsrede zur ersten Bundestagssitzung hielt, war das Maß voll. Die Unionsfraktion verweigerte den Schlussapplaus, derweil es in Reihen von FDP und SPD deutlich rumorte, schließlich hatten gerade die Sozialdemokraten besonders arg unter der Unterdrückungsmaschinerie gelitten.
Die Union protestierte dagegen, dass ausgerechnet ein Vertreter der SED-Nachfolger am Rednerpult des ersten gesamtdeutschen Parlaments stand. Der damalige Bundeskanzler Helmut Kohl (CDU) warf Heym vor, mit „gespaltener Zunge“ zu sprechen, womit er seine Rolle als vermeintliches Opfer der SED-Diktatur in Abrede stellte. Auch jenseits der Parteipolitik hat seine Tätigkeit für die PDS Heyms Ansehen nachhaltig geschadet.
Demokratische Gesinnung
In den Chefetagen namhafter Medien war Stefan Heym damals nur noch peinlich: ein schreibendes Fossil, das der Vergessenheit anheimfiel – „wie alles, was die kommunistische Diktatur hinterlassen hatte“, erinnert sich der langjährige „Spiegel“-Redakteur Matthias Matussek. Und auch, dass Heyms demokratische Gesinnung, gemessen an seinem Engagement für den Sozialismus, vielen Redaktionsleitern fragwürdig erschienen sei.