Katholische Kirche:

Menschenwürde als Maßstab für Asylpolitik

Der katholische Flüchtlingsbischof Stefan Heße kritisiert die europäische Migrationspolitik und warnt vor Debatten, die vor allem Populisten stärken könnten. "Wer die Aufnahme von Flüchtlingen in erster Linie als Bedrohung darstellt, spielt den Populisten in die Karten", sagte er im Interview der Katholischen Nachrichten-Agentur (KNA) zum Abschluss seiner Reise in die Türkei und nach Griechenland.

Auch wenn viele Kommunen in Deutschland über Belastungen klagten, müssten Menschenwürde und Schutzbedürftigkeit der betroffenen Menschen im Mittelpunkt stehen, betonte der Hamburger Erzbischof. Darüber hinaus dürfe man die Arbeitsmigration mit der Suche nach qualifizierten Fachkräften "nicht allzu sehr mit Fragen von Flucht und Asyl vermischen. Beim Flüchtlingsschutz handelt es sich um eine rechtliche und ethische Verpflichtung - unabhängig davon, ob ein Mensch arbeiten kann oder nicht."

Forderungen, nur wirklich Verfolgten Asyl zu gewähren und mehr Länder zu sicheren Herkunftsstaaten zu erklären, seien viel zu pauschal und wenig hilfreich, fügte Heße hinzu: "Wer mit geflüchteten Menschen spricht, der merkt schnell: Oft liegen sehr individuelle Schutzbedarfe vor, die eine sorgfältige Prüfung des Einzelfalls unbedingt notwendig machen."

Auf seiner Reise hätten ihm mehrere Gesprächspartner sehr drastisch geschildert, wie Schutzsuchende in türkische Gewässer zurückgeschleppt worden seien - darunter auch Menschen, die das sichere griechische Ufer bereits erreicht hätten: "Die völkerrechtswidrigen Pushbacks sind ein humanitärer Skandal und müssen dringend gestoppt werden."

Große Lager in den Erstaufnahmestaaten, in denen Menschen "teils unter haftähnlichen, oft menschenunwürdigen Bedingungen monatelang ausharren müssen, sind keine Lösung", fügte der Bischof hinzu. Notwendig wäre stattdessen eine rasche Registrierung und Weiterverteilung auf andere EU-Mitgliedstaaten. "Ebenso müssen bürokratische Strukturen, die Menschen zur Untätigkeit zwingen und durch die ihnen grundlegende soziale Rechte verweigert werden, überwunden werden. Es muss darum gehen, Menschen eine konkrete Perspektive für gesellschaftliche Teilhabe zu geben."

Dringend erforderlich sei eine Reform des Gemeinsamen Europäischen Asylsystems, "die einem besseren Flüchtlingsschutz und einer größeren Solidarität zwischen den EU-Mitgliedstaaten dient", ergänzte Heße.

Die Situation vieler Geflüchteter in den Lagern sei dramatisch, berichtete er weiter von seinen Gesprächen: "Die Verzweiflung der Menschen war mit Händen zu greifen. Ihre Berichte und Erfahrungen waren erschütternd. Viele haben auf der Flucht Gewalt erfahren und sind traumatisiert."

Trotzdem aber würden viele Asylgesuche abgelehnt, was zu einer großen Perspektivlosigkeit führe. "Teilweise fehlt es im Lager auch an ganz grundlegenden Dingen wie Nahrung und Gesundheitsversorgung, von Bildungsmöglichkeiten für Kinder ganz zu schweigen." Ohne das "großartige Engagement von Nichtregierungsorganisationen" wäre die Lage unerträglich, ergänzte der Bischof.

Gottfried Bohl/KNA

06.09.2023 - Bischof , Europa , Flüchtlinge