Sul Bi Yi ist Organistin an der Andechser Wallfahrtskirche

Meisterin an der Orgel

ANDECHS – Nein, sie ist keine Touristin. Auf den ersten Blick wird klar, dass sich diese junge, elegante Dame deutlich von den gemütlich schlendernden Besuchern des Heiligen Bergs in Andechs abhebt. Es liegt an der eiligen Selbstverständlichkeit, mit der Sul Bi Yi durch die Andechser Wallfahrtskirche geht. 

Die aus Südkorea stammende 30-jährige Organistin hat sich in den zwei Jahren ihrer Tätigkeit bei den Benediktinern im Kloster Andechs bereits einige künstlerische Reputation erworben. Mit sanfter Autorität greift sie nach dem großen Schlüssel und öffnet den etwas verborgenen Zugang zur Empore, die dem Kirchenvolk verschlossen ist. Die Organistin besitzt mit der Schlüsselgewalt auch das Vertrauen des Konvents. Denn wer zur Orgelempore gelangen will, passiert einen Zugang zur „Heiligen Kapelle“ mit ihrem wertvollen Reliquienschatz. 

Nach kurzem Aufstieg über das enge Treppenhaus liegt das Ziel, von der Nachmittagssonne bestrahlt, in atemberaubender Schönheit da: der barocke Orgelprospekt in seiner ganzen Pracht. Für diesen umwerfenden Augenblick nimmt sich Sul Bi Yi Zeit. Auch wenn es im Winter einigermaßen klamm ist dort oben – beim dreimanualigen Spieltisch der Jann-Orgel dürfte es sich um einen der schöneren Arbeitsplätze in Bayern handeln. 

Früher Wunsch

Sul Bi Yi wusste bereits mit drei Jahren, was sie wollte. Ein Werbeclip im koreanischen Fernsehen hatte sie mit dem Wunsch infiziert, Klavierspielen zu lernen. Als die Kleine nach einem ersten Nein das Essen verweigerte, gab ihre Mutter nach und meldete das Kind in der Musikschule an. Dort übte Sul Bi Yi mit großem Eifer Klavier, bis sie sich mit 15 Jahren entschloss, zur Orgel zu wechseln und außerdem Deutsch zu lernen. 

2006 schrieb sie sich an der Hochschule für Musik und Theater in München ein, zunächst für das Studium der katholischen Kirchenmusik. Zwei Jahre später nahm sie das Konzertfach Orgel hinzu und lernte zudem Chorleitung, Orchesterleitung und liturgisches Orgelspiel. 2016 schloss sie die Studien ab. 

Talent, Fleiß und Beharrlichkeit wurden mit zahlreichen Auszeichnungen belohnt. So wurde Sul Bi Yi Ende 2016 mit dem ersten Preis beim Internationalen Rheinberger- Wettbewerb für Orgel in Vaduz ausgezeichnet. 

Zweite Plätze belegte sie beim Internationalen Bachwettbewerb für Orgel in Wiesbaden und beim Internationalen Orgelwettbewerb in Luxemburg-Düdelingen. Neben dem ersten Preis im Orgelwettbewerb in St. Maurice (Schweiz) wurde ihr der Sonderpreis für die beste Interpretation Wagner-Liszt verliehen. Die Vorliebe der Musikerin gilt der deutschen romantischen Orgelliteratur, vor allem Kompositionen von Franz Liszt und Max Reger. 

Die Jann-Orgel in der Andechser Klosterkirche bietet eine große Klangvielfalt. Die Organistin öffnet vorsichtig die Lade zur Setzelektronik. Die Anlage ermöglicht es, 5000 verschiedene Registerkombinationen zu speichern und jederzeit wieder aufzurufen. Am Beispiel der Toccata aus Charles-Marie Widors fünfter Orgelsinfonie spielt Sul Bi Yi einen fulminanten Einstieg. Zehn Notenseiten intoniert sie wie im Flug, dann nimmt sie „einfach ein paar verstimmte Zungen weg“ und lächelt, als sei das alles ein Kinderspiel. 

Für ein Konzert in Landshut hat die Musikerin Marcel Duprés „Variations sur un Noel“ einstudiert, ein hummelgleiches Stück, dessen Terzenskalen äußerste Perfektion verlangen. Nun ist sie in ihrem Element und lässt die Finger wie Bienen über die Tasten schwirren. Wenn sie sich etwas wünschen dürfte? Sie überlegt kurz. „Die neue Elbphilharmonie-Orgel anspielen.“ Sie habe gehört, das Instrument sei sehr schön, ein Klangwunder. 

Improvisation

Der Andechser Alltag besteht für die Organistin und Leiterin der Andechser Chorgemeinschaft im musikalischen Part der hohen kirchlichen Feiertage. Um Christi Himmelfahrt spielt Sul Bi Yi zwei Wochen lang täglich acht bis zehn Messen. Und jeder Pfarrer bringt seine eigene Liedauswahl mit. Doch die junge Frau ist flexibel. Am liebsten spielt sie zum Auszug der Sonntagabendmesse. Dann kann sie frei improvisieren.

Evi Baumeister

31.01.2019 - Bistum Augsburg , Kirchenmusik