Welt-Tuberkulose-Tag

Der lange Weg zur Genesung

Stets am 24. März weist der Welttuberkulosetag auf die verheerenden gesundheitlichen, sozialen und wirtschaftlichen Folgen der Tuberkulose hin. Das Datum markiert den Tag im Jahr 1882, an dem Robert Koch bekanntgab, dass er das Bakterium entdeckt hatte, das die „Schwindsucht“ verursacht. Dies öffnete den Weg zur Diagnose und Heilung der Krankheit. Ein Blick nach Nigeria zeigt, dass die Krankheit allen Medikamenten und Impfungen zum Trotz auch heute noch ein Problem darstellt.

Schwester Virginia Okolo ist der gute Geist der Tuberkulose-Patienten des Annunciation-Krankenhauses in Enugu, einer Großstadt mit mehr als 700 000 Einwohnern im christlichen Süden Nigerias. Über 30 Patienten warten vor der Tuberkulose-Station des Krankenhauses auf ihren Beistand. Es sind die Ärmsten der Armen, die sich mit Tuberkulose infiziert haben. 

Allein schon die Fahrt zum Krankenhaus ist aufwendig und teuer. Sie kostet nur ein paar nigerianische Naira – aber für viele Menschen ist selbst das unerschwinglich. „Wir nehmen auch Patienten auf, die kein Geld haben“, sagt Verwaltungsleiterin Onyia Ifeomachukwu, Ordensschwester vom katholischen Orden „Töchter der göttlichen Liebe“.

„Ich liebe meinen Job“

Sie selbst wurde in einer Mis­sionsschule erzogen. „Mir gefiel, wie die Lehrerinnen Mädchen behandelten, sie ermutigten, ihren Weg zu gehen und sich nicht beirren zu lassen“, sagt die nigerianische Missionarin. „Sollte ich einmal wiedergeboren werden, würde ich diesen Weg erneut gehen. Ich liebe meinen Job“, sagt sie mit einem Lächeln im Gesicht. 

Pflegedienstleiterin im Annunciation-Krankenhaus ist Edith Egbuogu, ebenfalls Ordensschwester der „Töchter der göttlichen Liebe“. Sie hat 26 Jahre in Deutschland gelebt und wurde 2016 in ihr Heimatland Nigeria zurückgeschickt. Die Situation in ihrer früheren Wahlheimat verfolgt sie mit großem Interesse. Sie sagt, sie würde jeden ihrer Landsleute, der sich mit dem Gedanken an Flucht oder Auswanderung trägt, abraten. 

„Viele von hier wollen weg und haben Fluchtgedanken, aber die Reise nach Europa und in eine ungewisse Zukunft ist doch viel zu gefährlich“, sagt sie in akzentfreiem Deutsch. Ihre Hebammen-Ausbildung hat die katholische Missionsschwester in Freiburg absolviert. Später hat sie in der Geburtshilfe in Bad Kreuznach gearbeitet und war Regionaloberin ihres Ordens in Rheinbach bei Bonn. 

Egbuogu kennt die Unterschiede in der Patientenversorgung beider Länder. „Hier gibt es, wenn überhaupt, nur eine ganz minimale Krankenversicherung, die sich nur die Reichen leisten können. Die wenigsten können ihre medizinischen Untersuchungen selbst bezahlen, da muss dann schon die ganze Familie zusammenlegen.“ 

Hilfe aus Deutschland

Unterstützung erhält die Annunciation-Klinik durch RedAid Nigeria, eine Partnerorganisation des in Würzburg ansässigen Hilfswerks „DAHW Deutsche Lepra- und Tuberkulosehilfe“. RedAid unterstützt nicht nur das Handeln der Schwestern zum Wohle der Erkrankten, sondern fördert auch entsprechende Schulungen des Klinik-Personals.

„Immer noch warten Tuberkulose-Kranke zu lange, bis sie medizinische Hilfe aufsuchen, auch weil sie aufgrund fehlenden Wissens falsche Krankheitsursachen vermuten“, sagt Ezeakile Okechukwu von RedAid Nigeria. Man setze auch auf Prävention der Familienmitglieder und eine verstärkte Nachsorge. „Durch die zielgerichtete Aus- und Weiterbildung von Gesundheitspersonal schließen wir Lücken in der Tuberkulose-Bekämpfung. Wir hoffen, mit dieser Strategie die Krankheit langfristig in den Griff zu bekommen.“

Odinaka Ani ist eine der Tuberkulose-Patientinnen in Enugu. Sie konnte wegen der Krankheit kaum mehr aufrecht gehen. Ständig war ihr schlecht, sie musste sich täglich mehrmals übergeben. Das Schlimmste für die Mutter von vier Kindern war indes, dass sie ihre Arbeit als Verkäuferin verlor. Auf ihren Mann kann sie sich nicht mehr verlassen – er hat sie verlassen, als sie anfing, immer schwächer zu werden. Nun passen ihre Eltern auf die Kinder auf, aber das ist auch nur eine Zwischenlösung. 

Manchmal lähmt sie die Angst. Nachts kann sie nicht schlafen, ihre Gedanken kreisen: Was wird aus ihr und den Kindern werden? Sie war bereits in verschiedenen Krankenhäusern. Sie haben sie immer wieder fortgeschickt, eine Diagnose bekam sie nie. Das Annunciation-Krankenhaus ist das erste, das ihr Hoffnung auf Genesung gibt. Durch einen positiven Speicheltest hat man ihre Tuberkulose-Erkrankung hier schnell entdeckt.

Täglich nimmt sie nun Tabletten ein. Oft bekommen sie ihr nicht, doch sie muss sechs Monate kämpfen: für ihre Genesung und gegen die Übelkeit. Dann, so sagt ihr Schwester Virginia, ist sie geheilt. Die 37-Jährige hat fest vor, durchzuhalten. Dann wird sie auch wieder einen Job bekommen und ihren Kindern eine Zukunft bieten können. An diese Hoffnung klammert sie sich: Das sei das Einzige, was momentan zählt, sagt sie.

Über Monate Husten

Einer anderen Patientin laufen Tränen übers Gesicht, als sie Schwester Virginia von ihrer Leidensgeschichte erzählt. Alles begann mit einem schlimmen Husten, der sie über Monate verfolgte und weder schlafen noch arbeiten ließ. Die Mitarbeiter der Krankenstation in ihrem Dorf untersuchten sie, konnten aber weder Tuberkulose noch eine Lungenentzündung feststellen. Als letzten Ausweg sah sie Virginia Okolo, die auf der Tuberkulose-­Station des Missionskrankenhauses arbeitet. 

Nachbarn hatten ihr von der engagierten Krankenschwester erzählt, vielleicht könne sie ihr ja helfen. „Als mir Schwester Virginia mitteilte, dass ich an Tuberkulose erkrankt sei, dachte ich, ich sterbe“, schluchzt die 46-Jährige. Wie sollte sie das nur ihrer Familie zu Hause beibringen? „Der Husten begann vor etwa 20 Jahren, doch ich hatte Angst vor der Untersuchung. So ließ ich es bleiben – all diese langen Jahre.“ 

Sie fühlt sich viel besser

Tag und Nacht grübelte die Lehrerin, die anonym bleiben will, wo sie sich angesteckt haben könnte. „Bis heute weiß ich es nicht“, sagt sie. Das Beruhigende sei nun, dass sie ihre Arbeit nicht verliert. „Ich kann wieder als Lehrerin arbeiten, sobald ich die Therapie hinter mir habe.“ Nach einem Monat der Tabletteneinnahme fühle sie sich schon viel besser. Einen langen Weg hat sie noch vor sich, den sie tapfer bis zu ihrer Genesung gehen will. Das hat sie sich vorgenommen.

Als Peter Okanya die ersten Symp­tome bei sich bemerkte, dachte er zuerst an Malaria, dann an Diabetes. „Ich fühlte mich so schlecht“, sagt der 54-Jährige. „Schwester Virginia hörte mich husten und wusste sofort, was los ist.“ Die Speichel-, Blut- und Lungentests bestätigten die Tuberkulose-Erkrankung. „Ich war geschockt, aber zugleich auch sehr erleichtert. Endlich war diese schreckliche Ungewissheit, die mich so lange plagte, vorbei.“ 

Okanya sieht an sich herunter: „Ich wog nur noch 52 Kilo. Es war höchste Zeit, dass etwas geschieht.“ Er hatte einen guten Job als Labormitarbeiter. Der ist nun weg. „Als mein Chef hörte, dass ich an Tuberkulose leide, hat er gesagt, dass ich gehen soll. Ich glaube, er hatte Angst, sich bei mir anzustecken.“ Okanya zuckt mit den Schultern, er hegt keinen Groll – obwohl ihn der Verlust seines Jobs sichtlich bewegt. Zum Glück fielen alle Tests bei seiner Familie negativ aus. „Trotzdem leiden sie mit mir und zeigen große Anteilnahme.“

Peter Okanya weiß, dass er Glück hatte – denn viele andere Tuberkulose-Patienten wurden von ihrer Familie verstoßen. „Vor uns Erkrankten hat man normalerweise große Angst“, betont er. Immerhin hat seine Frau Arbeit gefunden. Sie und weitere Freunde unterstützen ihn nun finanziell. So kommt er durch, irgendwie – doch immerhin besser als andere Patienten. Noch einen Monat dauert seine Therapie. „Das schaffe ich“, sagt er und hält optimistisch den Daumen hoch.

Gesünderer Speisezettel

„Fast alle meiner Patienten sind arm“, sagt Schwester Virginia. „Die wenigsten haben einen Job. Doch unser Tuberkulose-Programm ist kostenlos, das gilt auch für die Röntgenbilder.“ Manchmal steckt die Schwester ihren Schützlingen ein paar Naira zu, damit sie ihren Speisezettel gesünder gestalten oder den Transport mit Bus oder Sammeltaxi ins Krankenhaus ermöglichen können. „Dafür erwarte ich nichts. Mir geht es einzig und allein darum, dass sich meine Patienten wohlfühlen.“ 

Mittlerweile ist Schwester Virginia so bekannt, dass die Betroffenen auch hustende Freunde und Nachbarn mitbringen. Die Religion der Menschen spielt im Missionskrankenhaus übrigens keine Rolle. „Wir nehmen alle auf und versuchen, sie zu heilen“, bekräftigt Schwester Virginia. Dann lacht sie und ruft die nächste Patientin herein.

Sabine Ludwig

Informationen

über die DAHW Deutsche Lepra- und Tuberkulosehilfe finden Sie im Internet unter www.dahw.de.

21.03.2024 - Afrika , Armut , Gesundheit