Interview mit Theo Waigel zum 85. Geburtstag

„Gott verleiht Gelassenheit“

Ein Top-Politiker, den jeder kennt, nicht nur wegen seiner mächtigen Augenbrauen: Theo Waigel. Der frühere Bundesfinanzminister und CSU-Vorsitzende, heutiger Ehrenvorsitzender, der mit seiner Frau, dem einstigen Skiass Irene Epple, nun im Ostallgäu lebt, kam am 22. April vor 85 Jahren in Oberrohr bei Krumbach zur Welt. Seiner schwäbischen Heimat war er immer eng und hilfreich verbunden, ebenso der Kirche. Das Interview gibt Einblick, was Theo Waigel im Innersten bewegt.

Herr Waigel, glauben Sie an Gott?

Ich glaube an Gott und seine Nähe zu den Menschen.

Können Sie Ihr Gottesbild beschreiben?

Es ist geprägt von Eugen Biser. Ich glaube an einen Gott der bedingungslosen Liebe zu allen Menschen, der keinen zurücklässt.

Finden Sie Trost in der Zwiesprache mit Gott?

Ja, ich finde Trost und Frieden im Gebet mit Gott.

Bitten Sie gelegentlich auch um Dinge, die sich erfüllen sollen?

Ich habe Gott auch um Hilfen in meinem Leben gebeten. Heute bitte ich ihn, mir die Kraft zu geben, mein Schicksal meistern zu können.

Gottes Dasein in allem, was passiert. Ist das ein zuverlässiger und allgemeingültiger Gedanke?

Gottes Dasein, sein Wissen, was geschah, geschieht und geschehen wird, verleiht christliche Gelassenheit.

Welche Werte sind Ihnen persönlich wichtig und wie beeinflussen sie Ihre Arbeit?

Liebe, Vertrauen, Freundschaft, das Bewusstsein der Unvollkommenheit und die Zuversicht auf die Zukunft. Diese Werte versuche ich zu leben und wünsche sie mir von meinen Mitmenschen.

Als Finanzminister und darüber hinaus hatten Sie einen großen Einfluss auf die Finanzpolitik Deutschlands. Wie beurteilen Sie die aktuelle wirtschaftliche Lage und welche Maßnahmen halten Sie für essentiell?

Die gegenwärtige wirtschaftliche Lage ist geprägt von großer Unsicherheit der Weltordnung, der europäischen Staaten und den Herausforderungen für Deutschland, das von der Krise besonders betroffen ist. Es gilt, den Menschen die ökonomische Situation ungeschminkt zu erklären. Das bedeutet, dass die Pandemie und Putins Krieg gegen die Ukraine Opfer von uns allen, für jeden Einzelnen verlangen. Wir müssen einen gewissen Wohlstandsverzicht annehmen, angesichts der Demografie eine längere Lebensarbeitszeit akzeptieren und die Wettbewerbsfähigkeit Deutschlands durch steuerpolitische Maßnahmen, Bürokratieabbau und funktionierende Digitalisierung verbessern.

Würde Sie mit dem Wissen von heute ein führendes politisches Amt reizen?

Wenn ich 40 Jahre jünger wäre, würde ich mir auch ein schwieriges Amt wie das des Finanzministers durchaus zutrauen.

Wie würden Sie die politische Landschaft Deutschlands beschreiben. Und welche Veränderungen wünschen Sie sich für die Zukunft?

Wir leben in einer demokratie­politischen Auseinandersetzung, in der das Freund-Feind-Verhältnis, wie es Carl Schmitt in seiner Theorie des Politischen beschreibt, im negativen Sinn zunimmt. Das demokratische Prinzip beruht auf Dialog, konstruktivem Streit, Respekt vor der Minderheit und sittlichen Prinzipien, die der Staat nicht schaffen kann. Sich dessen bewusst zu sein, erwarte ich von den demokratischen Parteien und ihren Repräsentanten.

Wie können wir die demokratischen Werte hierzulande stärken und Extremismen bekämpfen?

Die Ehrlichkeit zur Wahrheit, Kompromiss und Konsens, Respekt vor dem Andersdenkenden in Wort und Tat, das unabdingbare Eintreten für die Werte des Grundgesetzes und die klare Abgrenzung von rechts- und linksextremen Kräften, damit sich Weimar nicht wiederholt.

Ist die Antwort auf die Kurzformel, auf was es im Leben ankommt, leicht und schwer zugleich?

In der Verantwortung vor Gott das Bestmögliche für die Mitmenschen und die Gesellschaft erreichen.

Ein Gebot des christlichen Lebens ist die Nächstenliebe. Können Sie allen Menschen, auch wenn sie einer anderen politischen Farbe angehören, liebend und vorurteilsfrei begegnen?

Je älter ich werde, desto leichter fällt es mir, auf frühere politische Gegner zuzugehen und mit ihnen Freundschaft zu schließen. Nach heftigen politischen Auseinandersetzungen habe ich Willy Brandt, Helmut Schmidt und Hans-Jochen Vogel, um einige namentlich zu erwähnen, schätzen gelernt. Mit meinen Finanzministerkollegen aus früheren Zeiten verbindet mich ein kameradschaftliches Verhältnis.

Ihre (christliche) Lebensphilosophie in wenigen Worten …

Die Ordnung der Dinge zu erkennen und sich selbst in Ordnung zu bringen. – Ein Ausspruch von Joseph Bernhart im Jahr 1949.

Interview: Andreas Raffeiner

19.04.2024 - Glaube , Interview , Politik