„Der eine da kann sich einfach nicht entscheiden“, berichtet die entrüstete Lehrerin dem Schulleiter. Auf die Frage, was er später einmal werden wolle, schrieb der Schüler: „Anwalt, Aktivist, Freiheitskämpfer, politischer Häftling, Präsident, Versöhner, Visionär und Ikone des 20. Jahrhunderts.“ In der vordersten Reihe der Dorfschule sitzt aufmerksam, in eine Decke gehüllt, der junge Nelson Mandela.
Der Cartoon des südafrikanischen Karikaturisten Zapiro ist ein Klassiker und erinnert an das Wirken des Anti-Apartheid-Kämpfers. Am 18. Juli, dem Internationalen Nelson-Mandela-Tag, hätte der weltweit gefeierte Freiheitsaktivist seinen 100. Geburtstag begangen.
Wenn Schwerverbrecher bunte Deckchen für Arme stricken, Chirurgen ohne Bezahlung Sonderschichten im OP-Saal schieben und Motorradfahrer Spenden für Schulmädchen sammeln – dann ist wieder Nelson-Mandela-Tag. Was immer an diesem Tag geschieht, es passiert in Mandelas Namen. Und für den guten Zweck. Südafrikas Nationalheld versteht es, die Menschen in seiner Heimat und in der Welt auch knapp fünf Jahre nach seinem Tod zu vereinen.
Versöhnung statt Rache
Wieso er so groß gefeiert wird? Vermutlich weil er genau das nicht wollte: Statt eines Feiertags zu seinen Ehren beanspruchte Mandela einen Tag der Aktionen im Dienst der Schwächeren und für sozialen Zusammenhalt. Dafür hatte Mandela sein Leben lang gekämpft, selbst als ihn 27 Jahre politische Haft nicht nach Rache sehnen ließen, sondern nach Versöhnung.
„Am Ast eines Baums rüttelnd“ – so wurde Mandelas zweiter Vorname Rolihlahla übersetzt und bedeutete so viel wie „Unruhestifter“. Seinem Geburtsnamen blieb Mandela immer treu, wenn es um Menschenrechte und Gleichberechtigung ging. Was hatte den Jungen aus der Volksgruppe der Xhosa im Dorf Qunu dermaßen geprägt?
„Der Besuch einer Methodistenschule veränderte Mandelas Leben grundlegend“, findet Dennis Cruywagen, ein langjähriger Wegbegleiter. „Davor dachte Mandela, aus ihm würde ein großartiger Fechter. Genau das wäre sein Schicksal gewesen, wäre er kein Methodist geworden: ein Stockkämpfer, der Ziegen und Schafe hütet.“
Auf eine Jugend auf dem Land folgte ein turbulenter Start ins Stadtleben: Mandela floh vor einer Ehe, die sein Onkel für ihn arrangiert hatte, und landete in den South Western Townships (Soweto) – bis heute Südafrikas größte Armensiedlung. Allen Widerständen zum Trotz begann er ein Jurastudium und lernte seinen späteren Parteikollegen, Walter Sisulu, kennen. Mit ihm setzte er sich offen gegen die weiße Übermacht ein. 1942 trat Mandela dem Afrikanischen Nationalkongress (ANC) bei und gründete die ANC-Jugendliga. Sechs Jahre später kam die Nationale Partei (NP) an die Macht. Die Apartheid wurde zur Regierungsagenda.
Am 21. März 1960 erschoss die Polizei beim „Massaker von Sharpeville“ 69 Demonstranten. Der ANC nahm den bewaffneten Kampf auf und wurde verboten. Für Mandela begann eine wenig ruhmreiche Zeit, die ihm später als linken Aktivisten einen Platz auf der Terrorliste der US-Regierung sicherte. Er führte fortan den „Speer der Nation“, den bewaffneten Flügel des ANC.
1962 wurde Mandela aufgegriffen und zu lebenslanger Haft verurteilt. Noch gut erinnert sich Denis Goldberg an das erste Treffen mit ihm. Auf den ersten Blick verband die beiden Männer nichts: Mandela war schwarz und mittellos, Goldberg weiß und vom Apartheid-System begünstigt, Mandela Christ, Goldberg Jude. Doch die beiden einte die Vision eines anderen Südafrika.
„Junge“ trifft „Nel“
Goldberg unterstützte den Kampf gegen das weiße Minderheitsregime an vorderster Front – und wurde gemeinsam mit Mandela als „Terrorist“ verurteilt. „Bei unserem Gerichtsprozess traf ich ihn zum ersten Mal persönlich“, erzählt Goldberg. „Er nannte mich ‚Junge‘, denn ich war 15 Jahre jünger als er, und ich nannte ihn ‚Nel‘. Es war eine warme, freundschaftliche Beziehung, wenngleich ich ihn für seine Führungsrolle respektierte.“