35. Früchteteppich von Sargenzell

Gottes Sohn ins Antlitz blicken

Der überregio­nal bekannte Früchteteppich in Sargenzell in Osthessen zeigt erstmals eine Collage von Begebenheiten aus dem Leben Jesu, die zusammen ein Gesicht ergeben. Das Antlitz Jesu sieht man am besten von der Empore der alten Kirche Maria Immaculata. Ein Besuch lohnt nicht nur zu Erntedank.

Auf dem Kirchenboden ist – mittlerweile zum 35. Mal – ein Früchteteppich mit biblischen Motiven gelegt worden. Steht man direkt vor dem Kunstwerk, dann erkennt man eher Szenen aus dem Leben Christi. Die Frauengruppe, die unter Leitung der Künstlerin Heike Richter etwa drei Monate lang an dem Früchteteppich gearbeitet hat, hat sich in diesem Jahr erstmals an einer Collage versucht. Die Abbildungen von der Geburt im Stall von Betlehem bis zum leeren Grab ergeben zusammen ein Gesicht, das den Betrachter intensiv anblickt.

Der 27 Quadratmeter große Früchteteppich ist bis zum 5. November in dem Dorf in der Nähe von Fulda kostenlos zu besichtigen. Längst ist die alte Kirche zum Ziel für Besucher und Reisegruppen aus ganz Deutschland und über die Grenzen hinaus geworden; der millionste Besucher wurde bereits vor zehn Jahren gezählt. Es ist eine Möglichkeit, auf ungewöhnliche Weise den Glauben zu verkündigen, weshalb auch der Bamberger Erz­bischof Ludwig Schick die Eröffnung mit seinem Besuch ehrte.

„Wann darf ich kommen und Gottes Angesicht sehen?“, heißt es in Psalm 42,3. Wie Hünfelds Stadtpfarrer Michael Müller sagte, zeigt Gott sein Angesicht in Jesus Christus, und seit er auf der Erde war, blickt Gott die Menschen auch aus anderen Menschengesichtern an. Der Fuldaer Stadtpfarrer, Dechant Stefan Buß, wies darauf hin, dass es darum gehe, wer „dieser Jesus für mich“ ist.

Neugierig machen

Die Urheberin des Motivs, Heike Richter, hält es für möglich, dass manche Besucher mit der biblischen Überlieferung Jesu nicht mehr vertraut sind. Der Früchteteppich kann darauf neugierig machen; er zeigt einige bekannte Stationen seines Lebens: die Taufe im Jordan, die Versuchung in der Wüste, das Gespräch mit der samaritischen Frau am Brunnen, die Hochzeit zu Kanaa, bei der Jesus Wasser in Wein verwandelte, die wunderbare Brotvermehrung, die Heilung eines Blinden und schließlich Kreuzigung und Auferstehung. Es gibt natürlich viel mehr Begebenheiten, die die Evangelien von Jesus erzählen. Sein Einzug in Jerusalem ließ sich zum Beispiel in dem Bild nicht unterbringen.

Bisher hatte sich Richter immer an klassischen Gemälden orientiert, aus denen sie das Früchteteppich-Motiv entwickelte. Diesmal diente ein Adventskalender als Anregung. Die Komposition von Bildern, die zusammen das große Bild ergeben, ist aber ihre eigene Schöpfung. „Ich wollte beim 35. Früchteteppich etwas Besonderes machen“, sagte sie im Gespräch mit unserer Zeitung. Es sollte bewusst eine moderne Darstellung sein, die auch Jüngere anspricht.

Eine Geduldsarbeit

Sieben Frauen haben die Körner, Samen sowie zerkleinerte Blüten und Blätter auf dem Boden sitzend oder kniend mit einem kleinen Löffel auf einer Unterlage aus Spanplatten so ausgestreut, dass sie sich zu diesem Bild fügen. Das ist eine Geduldsarbeit und erfordert eine ruhige Hand. Vier weitere Frauen waren gleichzeitig damit beschäftigt, das Material des letztjährigen Früchteteppichs zu sortieren, damit es erneut verwendet werden konnte. Nur wenn die Farben ausgebleicht sind, wird etwas weggeworfen. 

Früher wurden nach Aussage von Brigitte Lindner die Konturen der Motive festgeklebt. Inzwischen wird nur noch lose gestreut. Bei dieser Arbeit haben die Frauen große Routine; eine Teilnehmerin eines Malkurses von Richter war neu dabei und entsprechend aufgeregt. Aber alles lief glatt.

Eigene kleine Bilder legen

Erstmals stellte sich die Frauengruppe bei der jährlichen Kunstwoche im Rhöner Malerdorf Kleinsassen vor, bei der Heike Richter seit etwa 20 Jahren ihre Werke ausstellt. Besucher durften in einem Aktions­zelt auf kleinen Pappkartons eigene Bilder in der Art des Früchteteppichs legen. Damit konnte noch einmal auf den Früchteteppich hingewiesen werden. Laut Lindner war die Resonanz des Publikums sehr gut. Vertreten waren die Sargenzellerinnen auch auf der gerade stattfindenden Fuldaer Landesgartenschau.

Die alte Kirche sollte eigentlich Mitte der 1980er Jahre wegen Baufälligkeit abgerissen werden, nachdem eine neue gebaut worden war. Durch die Umwidmung für kulturelle Zwecke konnte sie jedoch erhalten bleiben – die Menschen im Dorf hängen an ihrem Gotteshaus. Zunächst gab es in ihr eine Krippenausstellung, ab 1988 dann den jährlichen Früchteteppich. Bis 1999 war die Renovierung der Kirche abgeschlossen. Möglich wurde sie durch zahlreiche Spenden aus der Region, aber auch von den Ausstellungs­besuchern.

Andreas Alt

Information

Die Kirche ist täglich von 10.30 bis 16.30 Uhr geöffnet. Ehrenamtliche Helfer stehen bereit, um die Bedeutung des Motivs zu erklären oder Fragen zu beantworten. Reisegruppen oder Reiseveranstalter sollten sich anmelden: Tel. 0 66 52/18 01 95 oder 7 93 85 91. Weitere Infos finden Sie im Internet unter 

www.fruechteteppich.de.

28.09.2023 - Glaube , Kirche , Tradition