Exklusiv-Interview

Kein Zugriff auf die Unendlichkeit

Sein Foto ging um die Welt: 2019 gelang Heino Falcke und seinem Team die erste Aufnahme eines Schwarzen Lochs im Weltall. 20 Jahre hatte der deutsche Astrophysiker und Professor an der Radboud-Universität in Nimwegen darauf hingearbeitet, um diesen sichtbaren Nachweis zu liefern. Als gläubiger Christ braucht er allerdings nicht für alles Beweise, macht er im Exklusiv-Interview deutlich. „Nur Gott weiß alles“, sagt er.

Herr Professor Falcke, sind Sie ein gläubiger Mensch?

Ja.

Wie beeinflusst Ihre Arbeit als Astronom Ihre Vorstellung von Gott und Religion?

Die Naturwissenschaften zeigen uns die Natur – Gottes Schöpfung. Die Astronomie zeigt uns die Größe und Schönheit der Schöpfung. Die Natur lehrt mich, meine eigenen Ideen kritisch zu hinterfragen. Das naturwissenschaftliche Experiment ist da gnadenloser, als ich oft zu mir selber bin. Das kann ich für mich selber lernen, denn kritisches Hinterfragen öffnet den Weg, tiefere Wahrheiten zu entdecken. Und danach suchen sowohl Naturwissenschaften als auch Religionen.

Waren Sie immer schon von der Weite des Alls fasziniert?

Als Kind haben mich die Müllmänner mit ihren großen Wagen oft mehr interessiert. Aber wenn ich dann im Bett lag, wollte ich wissen, wie groß oder unendlich der Himmel ist. Die Frage hat mich fast die ganze Zeit begleitet. Ich habe jetzt mit meiner Frau ein Buch mit dem Titel „Kekskrümel im All – Wie groß ist die Unendlichkeit?“ geschrieben, weil ich denke, dass jeder einmal darüber nachdenkt, was sich hinter dem Nachthimmel verbirgt. 

Welche Werte sind für Sie wichtig und wie spiegeln sie sich in Ihrer Arbeit wider?

„Liebe Gott und deinen Nächsten wie dich selbst.“ Ich komme diesem Satz nicht immer permanent nach, doch in diesem Wert steckt alles. Wer Gott, sich und die anderen lieben kann, hat schon fast alles erreicht. So arbeite ich auch nach der Maxime, das Wohl der Mitarbeiter in den Vordergrund zu stellen. Im Team kann man viel mehr erreichen und auch neue Erfahrung teilen. 

Können Sie die Rolle der Astronomie bei der Untersuchung und Erklärung der Welt näher erklären?

Es geht nicht nur um das Sternegucken, die Astronomie umfasst im wahrsten Sinne des Wortes alle: Urknall, Galaxien, Planeten und letztlich auch die Erde. Wir benutzen physikalische Gesetze, die wir auf der Erde entdeckt haben und wenden sie im All an. Manchmal testen wir aber auch neue Gesetze erst im All – zum Beispiel Einsteins allgemeine Relativitätstheorie –, um sie dann erst später auf der Erde anzuwenden, in dem Fall zum Beispiel in unseren Navigationssystemen. Die Astronomie zeigt uns auch unseren Platz in diesem Universum und wir finden, dass es mehr Sterne und Planeten im All gibt, als es Sandkörner an den Stränden unserer Meere gibt. Die Bedeutung des Menschen finden wir aber nicht durch Astronomie

Wie gehen Sie mit der Frage nach der Unendlichkeit des Universums um, und welche Theorien oder Modelle werden dazu diskutiert?

Das Universum ist nicht unendlich, weil es in einer endlichen Zeit erschaffen wurde. Wir können nur einen endlichen Ausschnitt sehen und wahrnehmen, wissen aber nicht, ob es hinter dem Universum ein zweites und hinter diesem ein drittes gibt. Es ist Spekulation zu glauben, dass es neben dem Universum einen weiteren Raum gibt. Das ist dann Metaphysik. Auf die Unendlichkeit haben wir keinen Zugriff.

So ganz nebenbei: Was war vor dem Urknall?

Das weiß ich nicht, das weiß kein Wissenschaftler. Der belgische Priester und Astrophysiker Georges Lemaître sagte einmal, dass es eine Freude sei, zu sehen, dass eigentlich der Urknall einen Schleier vor die Schöpfung selber lege. Dadurch war Gott der physikalischen Untersuchung entzogen. 

Welche ethischen Fragen oder Dilemmata können sich in Ihrer Forschungsdisziplin ergeben?

Zum Glück werfen Sterne und Galaxien selber keine großen ethischen Fragen auf. Astronomie arbeitet aber global zusammen. Wie wir miteinander umgehen, ist daher eine wichtige Frage, und wie wir mit den Menschen und Ressourcen umgehen in den Ländern, in denen unsere Teleskope stehen, ist dann schon ein Thema.  Astronomie bietet auch das große Bild des Alls und unserer Erde, das wir im Prinzip mit allen Menschen auf der Welt teilen. Dadurch haben wir eine besondere Verantwortung, unser Wissen mit der Allgemeinheit zu teilen und ein Bewusstsein für diese gemeinsame Perspektive zu schaffen.  

Wie gehen Sie mit Zweifeln und Unsicherheit in Bezug auf Ihren Glauben an Gott um?

Zweifel gehören bei beiden dazu, Zweifel stärken einen. Ohne Zweifel kann ich mich schnell in falscher Selbstsicherheit verrennen. Nur Gott weiß alles. Wer nicht zweifelt, ist letztlich anmaßend. Dennoch baut sich im Glauben und der Wissenschaft mit der Zeit ein gewisses Fundament auf, auf dem man stehen kann. 

Ist ein wissenschaftliches Narrativ ohne Gottbezug nüchtern betrachtet realistisch?

Nein. Jeder hat eine Idee vom Ursprung, selbst wenn es ein unpersonaler Ursprung ist. Auch das ist ein Gottesbild. Und unser Gottesbild beeinflusst, wie wir die Welt sehen. Die Astrophysik geht bis an den Rand des physikalisch Messbaren und kommt damit letztlich immer auch mit dem Gottesbild in Berührung – wenn man Gott hier als Ursprung und den ungeschaffenen ersten Beweger definiert.  

Kann die Astronomie helfen, das Verständnis von Klima und Umwelt auf der Erde zu verbessern?

Ich denke schon. Wenn wir das All und das Raumschiff Erde sehen, erkennen wir, wie einsam und verletzlich unsere Erde in den Weiten des Alls schwebt. Ob es anderes Leben im All gibt, weiß ich nicht. Wir haben sicher keine zweite Erde in Reichweite, auf die wir auswandern können. Deswegen sollten wir mehr Bewusstsein dafür haben, wie besonders sie ist. Die Erde selber werden wir nicht zerstören können, aber wir können sie fast unbewohnbar für uns machen.

Welches Fazit ziehen Sie in Bezug auf Astronomie und Glauben?

Seit Jahrtausenden gibt es eine Koexistenz. Der Nachthimmel fordert uns heraus, weiter zu schauen und weiterzudenken. Am Anfang waren Sterne und Planeten Götter. Im Juden- und Christentum waren sie nur noch „Lichter“, die wir untersuchen konnten, aber viele der großen Astronomen unserer Geschichte waren tief gläubige Menschen, selbst ein Galileo, der mit der Amtskirche in Konflikt geriet. Für mich ist das All Ausdruck des krea­tiven Schöpfers, so wie es Blumen auf den Feldern sind. So ist es auch mit den Worten Jesu in der Bibel: Ich kann sie untersuchen und versuchen sie zu verstehen – oder ich kann sie einfach nur genießen.

Interview: Andreas Raffeiner

Information

Heino Falcke präsentiert sich und seine Arbeit im Internet auf heinofalcke.org.

12.01.2024 - Glaube , Interview , Weltall