Tapfere Jungfrau

Wilgefortis trägt Bart

NEUBURG/DONAU – Eine gekreuzigte Frau in wallendem Gewand? Wer, neugierig geworden, einen Blick auf das 102 mal 70 Zentimeter große Gemälde im neuen Dauerausstellungsraum des Neuburger Stadtmuseums wirft, staunt noch mehr. Denn die Person am Kreuz trägt einen rötlichen Bart, der nicht recht zu den weichen, eher weiblichen Gesichtszügen passen will. 

Das unsignierte Werk aus dem Jahr 1678 gibt Rätsel auf. Es stammt aus dem „Verri-Haus“ in Neuburg, benannt nach Josef Askanius Graf von Verri, der es 1786 gründlich umbaute, wie Barbara Höglmeier in einem Beitrag über die heilige Kümmernis im „Neuburger Kollektaneen-

blatt“ 2011 schreibt. Johanna Schalk, die das 1966 von ihrer Familie erworbene Haus erbte, schenkte das Gemälde dem Historischen Verein Neuburg. 

„Die heilige Kümmernis oder Wilgefortis war eine portugiesische oder sizilianische Königstochter, die Christin geworden war und sämtlichen Brautwerbern absagte“, erzählt Kreisheimatpfleger Manfred Veit die Legende, die dem Bild zugrunde liegt. 

Ihr Vater ließ sie ins Gefängnis werfen, wo sie Gott darum bat, die Schönheit von ihr zu nehmen, damit kein Mann sie mehr begehre. Daraufhin soll ihr ein Bart gewachsen sein. Als der König das sah, soll er so in Wut geraten sein, dass er seine Tochter kreuzigen ließ, damit sie dem von ihr verehrten Christus noch mehr gleiche. 

Drei Tage lang soll Wilgefortis (wahrscheinlich abgeleitet von Virgo fortis, lateinisch „tapfere Jungfrau“) am Kreuz gepredigt und viele Menschen bekehrt haben, darunter auch ihren Vater. Der ließ zur Sühne eine Kirche errichten und darin ihr Bildnis aufstellen, an dem sich so manches Wunder ereignet haben soll.

Wilgefortis ist keine von der Kirche anerkannte Heilige, sondern lediglich eine Volksheilige, deren Kult im 17. und 18. Jahrhundert seinen Höhepunkt erreichte. Zwar war sie Ende des 16. Jahrhunderts in das Martyrologium Romanum, das Verzeichnis aller Heiligen und Seligen der römisch-katholischen Kirche, aufgenommen worden, wurde später jedoch wieder daraus entfernt. 

Volkskundler vermuten, dass die Legende im Spätmittelalter aus einem Missverständnis entstand, um die Christus-Darstellung nach Art des „Volto Santo“ aus der Kathedrale von Lucca aus dem zwölften Jahrhundert zu deuten. Entgegen der volkstümlichen Vorstellung von Jesu schmerzerfülltem Todeskampf zeigt die Volto-Santo-Darstellung Christus aufrecht als Triumphator mit goldener Krone und im langen, einer Tunika gleichenden Gewand. Das, so die Theorie, soll im Mittelalter nicht mehr als Männergewand erkannt worden sein, so dass die Legende der bärtigen, gekreuzigten Frau dazuerfunden wurde. 

Als „sehr ungewöhnlich“ am Neuburger Kümmernisbild wertet Veit die drei Bogenschützen, die ihre Pfeile auf die Heilige abschießen. Höglmeier identifiziert einen Osmanen, wohl als Sinnbild für Unglauben und die Bedrohung des Abendlandes, den blinden Amor als Symbol für sündige Liebe und den Teufel als Inbegriff des Bösen. 

Üblicherweise findet sich zu Füßen der Gekreuzigten ein Geiger mit einem ihrer Schuhe in der Hand. Der Legende nach soll der Musiker in großem Kummer zum Bildnis der heiligen Kümmernis gebetet haben, woraufhin sie ihm einen ihrer goldenen Schuhe zuwarf. 

Dafür sollte der Mann gehenkt werden, weil ihm Diebstahl unterstellt wurde. Er bat daher, noch einmal vor dem Bildnis beten zu dürfen, was ihm gewährt wurde. Und siehe da, die Heilige warf ihm auch noch ihren zweiten Schuh zu – vor den Augen des Königs und weiterer Zeugen. Die Legende des Geigers ist auch von Volto-Santo-Darstellungen bekannt, was die These von einer Verbindung des Wilgefortis-Kultes unterstützt. Der Gedenktag der heiligen Kümmernis war der 20. Juli.

Andrea Hammerl

Info: Das Stadtmuseum Neuburg an der Donau ist täglich außer Montag von 10 bis 18 Uhr geöffnet, von Januar bis Mitte März geschlossen.